: Lob des Fehlers
Die Wahrheit-Sprachkritik: von falschen Ellipsen und dubiosen Ausmerzern
Versuchen Sie einmal, mit geschlossenen Augen, sozusagen aus dem Ohrenwinkel, die „Tagesschau“ oder die „heute“-Nachrichten zu verfolgen. Schauen Sie sich nicht die Sprecher oder die Bilder an, sondern hören sie nur dem Text zu. Immerhin wird Ihnen ein Spitzenprodukt des deutschen Journalismus geboten, und dennoch trifft nach einer Weile ein Satz wie der folgende auf ihr Trommelfell: „Die Kanzlerin ist im Urlaub und auch alle Minister.“ Der Satz ist schlicht falsch. Zerlegen Sie ihn einfach in seine Bestandteile: „Die Kanzlerin ist im Urlaub, und die Minister sind es auch.“ So müsste es richtig heißen.
Es ist eine sprachliche Kleinigkeit, die leider keine Kleinigkeit mehr ist: die falsche Ellipse. Ursprünglich ist eine Ellipse ein rhetorisches Mittel, das die Sprache lebendig gestalten soll, indem das Verb im Folgesatz ausgelassen und nicht wiederholt wird. Durch dieses Stilmittel werden Sätze flüssiger. Eine falsche Ellipse bewirkt jedoch genau das Gegenteil. Sie entsteht durch den fehlerhaften Bezug des Verbs im weiteren Satz.
Sehen wir uns ein paar gewöhnliche Beispiele an, aus einer x-beliebigen Ausgabe der Bild-Zeitung. So verkündet die Schlagersängerin Michelle per Schlagzeile: „Ich wollte Liebe, die Männer meinen Körper & Geld“. Die Männer wollte meinen Körper & Geld? Ein paar Seiten weiter verspricht eine Eigenanzeige des Verlags: „Das Eckige muß ins Runde – und die Geldscheine ins Sparschwein!“ Die Geldscheine muß ins Sparschwein?
Aber wozu in die Boulevard-Ferne schweifen, fassen wir uns doch an die hauseigene Nase. Zwei Überschriften aus einer taz-Ausgabe: „Die Presse kommt, Kulturpolitiker.“ Kulturpolitiker kommt? Was will uns das sagen? Dass nur ein einziger Kulturpolitiker erscheinen wird? Nächste Überschrift: „Im Parlament stellen die Parteien vor, wie sie die Verfassung ändern wollen: BürgerInnen kriegen wirksamere Bürgerbegehren, der Regierende mehr Macht“. Der Regierende kriegen mehr Macht? Kriegt muss es korrekt heißen, wobei das scheußlich genug klingt. Doch quälen wir uns noch durch ein besonders brutales Beispiel aus der Fernsehwerbung – ausgerechnet für ein Pflaster, das Schmerzen lindern soll: „So macht die Party Spaß und ihre neuen Schuhe.“ Ihre neuen Schuhe macht Spaß? Aua. Aua. Aua.
Aber wie kommt es zu einer solch grassierenden Seuche? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Tatsächlich hören heutzutage Werber oder Journalisten nicht mehr genau hin, vor allem lesen sie ihre eigenen Texte nicht mehr. Auch wirkt sich die große Stärke des Englischen, Sachverhalte zu verknappen, auf das Deutsche aus. Deutschsprachige Autoren wollen gern ähnlich prägnant formulieren, greifen allerdings oft in den Mustopf, weil sie sprachlich nicht in der Lage sind, präzise Bilder zu produzieren. Stattdessen hämmern sie Katachresen in die Tasten, also schiefe Bilder oder falsche Metaphern. Nur ein Beispiel: Vor einiger Zeit strich ich einem Kollegen einen Satz aus dem Text: „Das klingt wie ein alter Hut.“ Der Kollege kam zu mir und wunderte sich, warum der Satz entfernt worden sei. Ich fragte ihn bloß: „Wie klingt denn ein alter Hut?“ Er sah mich lange nachdenklich an. Es klingelte allerdings nicht bei ihm.
Zurück zu den Ellipsen. Die anscheinend in den Journalistenschulen bis zum Erbrechen eingeübt werden. Bis zu meinem Erbrechen. Denn offenbar über die Ohren breitet sich die Seuche inzwischen auch unter hochklassigen Autoren aus. Kürzlich redigierte ich eine falsche Ellipse aus dem Text einer verdienten Großdame des Kolumnierens. Bitterlich beschwerte sie sich anschließend bei mir, das sei nicht mehr ihre Sprache. „Dafür ist es jetzt Deutsch“, antwortete ich. Sie war zu Recht beleidigt und schreibt seither keine Kolumnen mehr für die Wahrheit.
War es ein Fehler, den Fehler zu korrigieren? Ja – und nein. Denn ich mache gern Fehler. Ich liebe Fehler! Ganz im Gegensatz zu den gerade in den Medien so populären Sprachkritikern, die sich zum Beispiel im „Verein Deutsche Sprache e. V.“ sammeln. Diese Vereinsdeutschen möchten nicht nur das Fehlerhafte, sondern auch am liebsten jedes Fremdwort ausrotten. Ihre Vision ist ein ebenso sauberes wie armseliges Deutschbuchdeutsch. Bei diesen dubiosen Ausmerzern fragt man sich immer, was sie als Nächstes selektieren werden, wenn sie erst mit der Sprache fertig sind.
Solche deutschtümelnden Vereine, die sich die Beseitigung der Fremdwörter auf die Fahnen geschrieben haben, tauchen zwar historisch immer wieder auf, aber zum Glück ist die Sprache nicht so tot wie sie und schwemmt die selbst ernannten Sprachkärcher leichterhand auf den Müllhaufen der Geschichte. Sonst müssten deutsche Fernsehkommissare heute ihre – Vorsicht, Fremdwort! – Pistolen mit den Worten zücken: „Halt! Stehenbleiben! Ich ziehe sonst meinen Meuchelpuffer!“
Ich jedenfalls laufe lieber morgens an einem Spielsalon vorbei, in dessen Schaufenster seit Jahren der Spruch prangt: „Wilkommen in Las Vegas.“ Jedes Mal muss ich über den wundervollen kleinen Fehler lachen, der mir ans Herz gewachsen ist. Besser kann man die Auswirkungen der Zockerbranche sprachlich kaum darstellen. Es sei denn, man würde gleich hinschreiben: „Glücksspiel macht duhm.“ Irgendwann aber werde ich das Geschäft betreten und dem Besitzer per Handschlag danken.
Die falschen Ellipsenzieher, die sollte man allerdings einfach mal ohrfeigen, bis der Hut klingelt. MICHAEL RINGEL