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■ Der Berliner Verfassungsschutz hat Ärger mit zwei ehemaligen V-Leuten. Vom einen will das Amt 450.000 Mark zurückhaben, der andere will 100.000 Mark Nachzahlung haben. Mit Grauen denken die Geheimdienstler bereits ...

Der Berliner Verfassungsschutz hat Ärger mit zwei ehemaligen V-Leuten. Vom einen will das Amt 450.000 Mark zurückhaben, der andere will 100.000 Mark Nachzahlung haben. Mit Grauen denken die Geheimdienstler bereits an den worst case – die Spitzel könnten auf Festanstellung klagen.

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V-Leute sind die Allzweckwaffe der Geheimdienste. Ob Rauschgifthandel, Trupps von Skinheads, Revolutionäre Zellen oder internationaler Terrorismus, irgendein Dienst hat immer einen V-Mann drin. Vertrauensmänner haben allerdings auch ihre Tücken. Sie können aus dem Ruder laufen, sie können auch zum Mitwisser illegaler Praktiken werden – und damit zum Unsicherheitsfaktor für die Verfassungsschutzämter. Solche Risiken werden dann durch Geld minimiert, was manche Ex-V-Leute außerordentlich verteuert, wie der Berliner Senat jetzt feststellen mußte.

Anfang der siebziger Jahre genoß der Berliner Verfassungsschutz in der Branche den Ruf, sehr erfolgreich bei der Einschleusung von V-Leuten in „linksterroristische Gruppen“ zu sein. Zwei V-Leute galten als besonders hochkarätig. Sie bewegten sich in einer Gruppe, die zum Sympathisantenkreis des „2. Juni“ gehörte und wurden unter den Decknamen „Wien“ und „Flach“ geführt. Beide sind längst aufgeflogen und für den Geheimdienst nicht mehr verwendbar, beide haben während ihrer langjährigen Tätigkeit für den Verfassungsschutz eine Menge – auch für das Amt unangenehme – Informationen gesammelt.

Die Klarnamen der beiden Top- Spitzel sind Volker Weingraber Edler von Grodek, alias „Wien“ und Christian Hain, alias „Flach“. Beide spielten eine tragende Rolle im „Fall Schmücker“ – ebenfalls ein Spitzel des Berliner Landesamtes, der als „Verräter“ 1974 erschossen wurde – und in den Prozessen, die den Mord aufklären sollten. Der Fall Weingraber ging bereits durch die Presse. Gegen ihn klagt der Berliner Senat in Florenz auf Rückgabe von 450.000 Mark, die er vertragswidrig verwendet haben soll.

Bisher unbekannt ist noch der Fall des Christian Hain, der seit seiner Enttarnung 1988 ebenfalls rund 450.000 Mark aus der Berliner Staatskasse abgestaubt hat – doch während der Senat gegen Weingraber prozessiert, verhandelt Hain gerade mit dem Verfassungsschutz über einen Nachschlag: 100.000 Mark will er haben.

Christian Hain hatte seit 1974, dem Jahr des Schmücker-Mords, lose Kontakte zum Verfassungsschutz. Er war seit Jahren mit Ilse Schwipper, der späteren Hauptangeklagten im Schmücker-Prozeß, befreundet und kannte die ganze Gruppe um Ilse noch aus ihrer Wolfsburger Zeit in den frühen siebziger Jahren. Für den Verfassungsschutz der ideale Mann, um Informationen zu beschaffen – die Gruppe um Schwipper stand im Verdacht, Schmücker als „Verräter“ erschossen zu haben. 1975 ließ sich Hain als Spitzel fest unter Vertrag nehmen und erhielt nach Informationen aus glaubwürdigen Quellen einen für das Metier ansehnlichen Betrag: durchschnittlich 2500 Mark im Monat. Tatsächlich war Hain für den Verfassungsschutz jahrelang Gold wert. Bereits kurz nach seiner festen Anwerbung gelang ihm sein Meisterstück. Als Jurastudent und Freund von Ilse Schwipper gelang es ihm, im Büro der Anwaltskanzlei Heinisch, die die Verteidigung im Schmücker-Prozeß organisierte, als Praktikant angestellt zu werden. Fortan wußte man beim Verfassungsschutz immer schon im voraus, was die Gegenseite so vorhatte.

V-Mann „Flach“ geriet in den knapp 14 Jahren aktiver Tätigkeit für den Verfassungsschutz bei seinen GenossInnen zwar mehrmals in Verdacht, doch es gelang ihm stets, sich mit Bravour herauszuwinden. Erst 1988 war auch für ihn Schluß. Der freie Journalist Wolfram Bortfeld hatte einen Hinweis auf die Spitzeltätigkeit Hains bekommen und unterrichtete Anwalt Heinisch von dem Verdacht. „Flach“ tauchte ab.

Einer seiner Auftraggeber, der Verfassungsschützer Senatsrat Götz Hartwig, war noch im Juni 1990 voll des Lobes für den Ex-V- Mann: „Ich muß sagen, der Mann hat mir alle Bewunderung abgenötigt, wie er sich beispielsweise sogar in einem Fernsehinterview herauswinden konnte ohne zu lügen und sich trotzdem nicht als V- Mann zu offenbaren.“ Hartwig sagte vor einem Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses aus, der sich mit den Verfehlungen des Verfassungsschutzes befaßte.

Dieser Untersuchungsausschuß war von dem 1989 gewählten rot- grünen Senat durchgesetzt worden. Der neue Innensenator Pätzold entschloß sich, im Gegensatz zu seinen CDU-Vorgängern, die Identität des V-Mannes offenzulegen. Doch so viel Offenheit hat eben ihren Preis. „,Flach‘“, so Pätzold gegenüber dem Ausschuß, „stellt natürlich seine Sicherheit sehr in den Vordergrund. Es hat ja auch seinen Grund, daß wir für viel Geld Herrn Hain haben im Ausland abtauchen lassen. Das ist der Preis dafür, daß man dem Rechtsstaat jetzt auch Gerechtigkeit widerfahren läßt, indem man auch zuläßt, daß der V-Mann vor einem Untersuchungsausschuß präsentiert wird.“ Über die genaue Höhe der Summe, die der Rechtsstaat sich bis dahin die Absicherung Hains und sein Verschwinden ins Ausland – Hain wählte Griechenland – kosten ließ, herrscht noch etwas Unklarheit. Sie dürfte bei 300.000 Mark liegen.

Doch so erfolgreich Hain als Spitzel war – im bürgerlichen Leben ist er ein Versager. Sein Einstieg in die Touristikbranche auf dem Peleponnes wurde ein Flop. Schon im Herbst 1991 forderte er beim Verfassungsschutz einen Nachschlag von 120.000 Mark. Er erhielt 20.000 in bar, mit 100.000 wurde er entschuldet, und um weiteren Forderungen vorzubeugen, ließen ihn die Berliner Geheimen eine Verzichtserklärung unterschreiben. Das nützte allerdings wenig. Als die 20.000 Mark verbraucht waren, schrieb Hain erneut und wies diskret darauf hin, daß er schließlich aufgeflogen sei, weil es offenbar im Landesamt eine undichte Stelle gab. Der Wink wirkte, man besorgte ihm, als „kostenneutrale Hilfe“, eine Anstellung in der EDV-Branche. Leider ging die Firma ein halbes Jahr später in Konkurs, und der vormalige V-Mann stand wieder ohne alles da. Als er sich im Herbst 1993 wieder meldete, waren bereits circa 450.000 Mark investiert worden.

So kann es nicht weitergehen, erkannte der Berliner Verfassungsschutzchef Heinz Annußek und wandte sich in seiner Not an das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Dort wußte man auch Rat: dem Mann muß eine neue Perspektive geboten werden. Am besten eine ordentliche Ausbildung, denn der heute 44jährige Hain hat in seinem Leben außer Spitzeln ja nichts so richtig vorzuweisen. Elektrikerlehre aufgegeben, Jurastudium abgebrochen, ein Berliner Taxiunternehmen in die Pleite gefahren etc., etc. Finanziell wollte Köln sich allerdings nicht engagieren. Aufgrund der „schlechten Sozialprognose“ seien die auf mindestens 100.000 DM geschätzten Kosten für die Maßnahme allein vom Berliner Landesamt zu tragen.

Die Berliner willigten ein und haben damit gleich das nächste Problem am Hals. Mit Beginn der Ausbildungsmaßnahme, so erklärte man ihnen, sei für den Ex- V-Mann die Annahme einer völlig neuen Identität nötig. Dies müsse eine sogenannte „Klaridentität“ sein, die danach nicht mehr geändert werde dürfe. Diese gründliche Umwidmung schließt die Löschung aller bisherigen Identitäten und die Schaffung einer neuen Legende bis hin zur Veränderung des Geburtsregisters ein.

Ein Problem, an dem die Verfassungsschützer schwer zu knacken haben, denn Hain ist zwar seit zwanzig Jahren verheiratet, lebt aber mit einer anderen Frau zusammen und müßte für seine neue Existenz erst einmal geschieden werden. Schon das kann sehr teuer werden, weil die Ehefrau schließlich auch etwas davon haben will. Vor allem kostet es Zeit – Zeit, während der Hain schließlich auch leben muß und weiter vom Verfassungsschutz alimentiert wird. Trotzdem setzt das Amt verbissen auf die gütliche Abnabelung von Christian Hain.

Denn mit Grauen denken die Verfassungsschützer an den worst case. Während sie wider Willen gegen Weingraber in Florenz prozessieren, könnte Hain auf die Idee kommen, seinerseits zu klagen. Gegen das Land Berlin, auf Festanstellung im öffentlichen Dienst. Schließlich hat Christian Hain seit nunmehr zwanzig Jahren ganz überwiegend von Vergütungen des Verfasungsschutzes gelebt. Ein freier Journalist hätte in einem vergleichbaren Fall bei jeder Rundfunkanstalt die besten Chancen. Ruth Schöne/Jürgen

Gottschlich/Wolfgang Gast

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