■ Scheibengericht: Lititz Mento Band
Dance Music and Working Songs from Jamaica
Wergo-Schallplatten SM 1512-2
Die Fiedel kratzt und krächzt, der Bassist sitzt auf der Rhumba-Kiste und zupft an Metallstreifen, die tief brummeln, während Banjo und Gitarre einen windschiefen Off- Beat-Rhythmus schlagen. Der Gesang verrät Bierlaune. Jeder stimmt in die Melodie ein, wie es ihm gerade gefällt. Mento ist die Dorfmusik Jamaikas, aus der Ska und Reggae hervorgegangen sind. Fröhlich und offenbar unbeschwert wiegen sich die Paare im gemächlichen Takt. Dieser Tanzstil kennt keine Eile, ebensowenig die große Geste. Alles Prätentiöse, Aufgeblasen-Gespreizte liegt ihm fern. Die Musik treibt keinen Aufwand, ist nur Mittel zum Zweck. Sie steht nicht im Mittelpunkt, sondern ist auf wohltuende Weise beiläufig – eine Nebensache. Die Mitglieder der Lititz Mento Band sind zahnlose alte Herren, Bäcker, Lastwagenfahrer und Bauern von Beruf, die diese Musik seit zig Jahren in ihrer Freizeit spielen. Just for fun und natürlich auch des Extraverdienstes wegen, und trotzdem ist sie ihnen nicht zur Routineübung geronnen. Koloniale Einflüsse werden auf selbstverständliche Weise verarbeitet, was nicht ohne Ironie bleibt. Wenn etwa die „Quadrille“, ein französischer Gesellschaftstanz des 18. Jahrhunderts, ziemlich krummbeinig daherkommt und die Hymne des englischen Imperialismus, „Rule Britannia“, ganz naiv in echter Mento-Art von den einstmals „Unterdrückten“ zerzaust und zerfleddert wird, ist schlagartig klar, daß es mit der Glorie der Weltreiche nicht mehr weit her sein kann. Mento klingt wie der hinterhältige Spott des Plebs auf einstmalige Größe und Ruhm, die schönste antiimperialistische Agit- Prop-Musik, die man sich denken kann.
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