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Literaturzeitschrift zum HörenDrück „Play“ für Literatur

Mit „Stoff aus Luft“ legen die Berliner Dichterinnen Tanasgol Sabbagh und Josefine Berkholz ein Literaturmagazin im Podcastformat vor.

Poesie als sinnliche Erfahrung: Josefine Berkholz und Tanasgol Sabbagh Foto: Dominik Erhard

Du drückst auf „Play“, und plötzlich raunt dir eine Stimme etwas zu, das dir das Gefühl gibt, du würdest über den Kopf gestreichelt, während alles irgendwie nach Zimt riecht und ein Kamin vor sich hinknistert. Bevor du dich wundern kannst, was passiert, sagt sie: „Hörst du? Ich erkläre, ich komme vom Geräusch.“

Mit diesen Worten eröffnen die beiden Dichterinnen Tanasgol Sabbagh und Josefine Berkholz nicht nur ihre neue gemeinsame Literaturzeitschrift Stoff aus Luft, sondern stellen sich selbst vor: Seit mehr als zehn Jahren treten die beiden mit ihren Texten bei Poetry-Slam- und Spoken-Word-Bühnen auf und arbeiten konkret mit gesprochener Poesie.

Mit dem Projekt Stoff aus Luft widmen sie diesem Genre gemeinsam mit dem Komponisten Fabian Saul ein eigenes Magazin, das seit Kurzem bei Streamingdiensten wie Apple Music verfügbar ist. Eine Literaturzeitschrift über gesprochene Poesie – zum Anhören. Aber wie funktioniert das?

Was sind Texte abseits der Schriftlichkeit? Wie sind sie gebaut? Wie hält man sie fest? Und was spricht?

Gespräche mit Gästen

Genau diese Fragen bilden zugleich Kern und Gesprächsebene des Magazins, die von den beiden Moderatorinnen und fortan monatlich jeweils einem „Featured Artist“, einem Gast, betreten wird. So erzählt in der ersten Folge „A-wie Anfänge“ der Berliner Bühnenpoet Temye Tesfu von künstlerischer Inspiration und dem Unterschied zwischen „Papierlyrik“ und „Bühnenpoesie“– dem Sujet der beiden Moderatorinnen.

Das Magazin

Abrufbar auf: Apple Music, Deezer und direkt bei stoffausluft.de. Nächste Folge zum Thema Fuck soll am 23. März herauskommen

Unterfüttert wird all das mit einer gemeinsamen Diskussion über eine eigene Poetik für gesprochene Poesie, bei der Temye Tesfu ebenso locker eloquent über Marx wie über Poetry Slam und kulturelle Ästhetik spricht. Das ist spannend, nur stellt sich spätestens hier die nervöse Kulturkonsumentenfrage, was Stoff aus Luft denn nun zu einem tatsächlichen Magazin macht, das sich von einem „gewöhnlichen“ (Literatur)-Podcast abgrenzen kann?

Podcasts von Künstlern schwappten gerade am Anfang der Pandamie durch ausfallende Auftritte und Social Distancing wie eine Welle über die Streamingdienste. Das ließ erst einmal viel glitzerndes Strandgut zurück, entpuppte sich aber nicht selten als reine Zeugnisse der Beschäftigungstherapie in Form von Laberpodcasts.

Das Konzept von Stoff aus Luft ermöglicht jedoch etwas, für das in eingeführten Literaturmagazinen und Podcasts kaum Raum vorhanden ist: Mal abgesehen vom theoretischen Inhalt wird hier nicht nur von gesprochener Poesie geredet, sie wird auch tatsächlich vorgestellt – durch Einspieler und eingesendete Werke.

Und zwar mit dem Anspruch, mit dem sich Büh­nen­poe­t:in­nen spätestens seit den neunziger Jahren von den Wasserglaslesungen der Literaturhäuser abzugrenzen wissen: durch performte, gelebte Poesie. Wenn auf der Bühne die Kraft der Bewegung Atmosphäre schafft, erzeugen hier eingebaute Soundelemente einen ähnlichen Effekt.

Maschinelle Sounds

Es knackt, rauscht und summt um die Texte der Künst­le­r:in­nen Temye Tesfu, okkandice, Esther Kondo und Lydia Daher, wenn diese in monoton maschinellem Sound oder roboterähnlichen Stimmen ihre Interpretationen vom gemeinsamen Thema „Anfang“ etwa mit Texten über Stimmfindung (okkandice) oder das Backen von Brot (Temye Tesfu) darbieten.

Und es ratscht und schmatzt, als die in Zürich lebende Bühnenpoetin und Kolumnistin Fatima Moumouni das Gefühl des „In die Welt Geworfenseins“ vermittelt, wenn sie gleichzeitig über eine Geburt „auf einem Stein“ spricht und dann ganz plötzlich von einem Körper erzählt, der küchenfertig in Fleischstücke zerlegt wird.

Stoff aus Luft lebt von Poesie, die so klingt, als hätten Else Lasker-Schüler und Allen Ginsberg bei ein paar Absinth beschlossen, gemeinsam Cut-up-Gedichte zu erstellen. Das mag neusachlichen Nostalgikern aufstoßen und – zugegeben – mit den ambitionierten Diskussionsthemen tatsächlich manchmal etwas nerdig wirken – nur das scheint keinesfalls aufgesetzt.

Das merkt man spätestens dadurch, dass die beiden Moderatorinnen die Wortverliebtheit aus den von ihnen kuratierten Gedichten auch in ihre Moderation übernehmen. So braucht es manchmal etwas Zeit, um zu verstehen, ob im Laufe der Folge bereits ein Text gelesen, ein Jingle eingespielt, eine Anmoderation verlesen oder ob schon weiterdiskutiert wird.

Beiträge werden in Poesie zusammengebunden

Darin liegt die Besonderheit von Stoff aus Luft und das Rezept, um aus einem Podcast eine Alternative zu einer herkömmlichen Zeitschrift zu bieten: Die Beiträge treffen aufeinander, bieten Kontraste und werden doch in Poesie zusammengebunden. Und sie alle kehren im Zusammenspiel aus Klang, Rhythmus und Sprache wieder zur Ausgangsfrage zurück: „Was sind Texte abseits der Schriftlichkeit?“

Nach den ersten 30 Minuten wird klar, dass man, um diese Frage beantworten zu können, auf die Metaebene von Stoff aus Luft gezogen wird. Eine, auf der man eigene Gefühle und Empfindungen nur über das Hören entwickeln kann. Hier findet man keinen Ersatz zum Literaturmagazin oder zu einem aufgeschriebenen Gedicht, sondern ein eigenes zauberhaftes Sinneserlebnis.

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