Literatur-Wettbewerb in Klagenfurt: Was seid ihr alle toll
Vor seinem Praktikum bei der taz hatte er noch nie vom Bachmann-Preis gehört. Die literarische Entdeckungsreise eines bekennenden Banausen.
„Was, Du kennst den Bachmann-Preis nicht“, fragt mich Redakteur Jan und denkt, ich wolle ihn foppen. Ungläubig sucht er in meinem Gesicht nach etwas, das meinen Scherz verrät. Kein unterdrücktes Lächeln, kein Augenzwinkern. Ich muss ihn angeschaut haben wie ein Schaf. „Das ist der wichtigste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum“, sagt Jan leicht entrüstet, aber mit einer Spur von Wohlwollen. Der studierte Literaturwissenschaftler koordiniert für taz.de die Berichterstattung zum Literaturfestival im österreichischen Klagenfurt.
„Erstmal einlesen, die Homepage des Preises anschauen, die Artikel vom Vorjahr“, verordnet er mir. Bei Facebook und Twitter soll ich während des Wettlesens die Diskussionen und Kommentare beobachten. Die 37. Auflage könnte die letzte sein, erklärt mir Jan, da der ORF möglicherweise keinen 38. Bachmann-Preis finanzieren möchte. Oha, jetzt wird’s ja doch noch interessant, denke ich und lege los.
„Das Huhn auf meinem schosse sitzt,hat mich vollkommen bespritzt,mein Busen bebt die erde zuckt,das wird wohl nicht als buch gedruckt #tddl“, spuckt Twitter einen Tweet von Sibylle Berg aus dem Jahr 2012 aus, als ich das Kürzel #tddl („Tage der deutschsprachigen Literatur“) zwei Tage vor Beginn des Wettlesens in das Suchfeld eingebe. Ich muss laut lachen, doch die Kollegen im Großraumbüro gucken gar nicht erst von den Bildschirmen hoch. Sie haben sich schon dran gewöhnt, das mit dem Losprusten passiert mir öfter.
Kultur ist eine exotische Pflanze
Was soll's, frage ich mich und schaue mal bei Facebook. „Der Bachmann-Preis muss bleiben“, fordern dort knapp 6.000 Menschen. Weitere 30.000 sind persönlich eingeladen, sich mit einem Mausklick zu solidarisieren. Jeder Andere, der so wie ich per Zufall darauf stößt, kann ebenfalls mitmachen. Gestartet wurde die Aktion von Künstlern des Vereins „FreiaumK“ aus Klagenfurt, dem Austragungsort des Wettlesens. In ihrer symbolischen Petition an den ORF argumentieren sie: „Leisten wir uns Kultur, diese exotische Pflanze. Sonst verdorren wir.“
Dieser Offene Brief sei auch Politiker wie den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) geschickt worden. Sobald eine Antwort kommt, solle sie auf Facebook gepostet werden.
Tatsächlich ist weiter unten bereits eine Antwort aus der Marketing-Abteilung des ORF eingestellt, die mit den Worten beginnt: „Der ORF ist in seiner Vielfalt, Breite und Akzeptanz das erfolgreichste öffentlich-rechtliche Medien-Unternehmen in Europa.“ Mein Lachen schallt durch die Redaktion und nervt die Kollegen. Vielleicht sollte ich mir das abgewöhnen. Wäre schade. Außer Selbstbeweihräucherung steht nichts in dem Text. Auch schade.
Beim zweiten Lesen der Petition irgendwann später in der Woche, als die Lesungen in Klagenfurt schon laufen, stößt mir ein Satz übel auf: „Im Bachmann-Preis feiert die Literatur sich selbst.“ Was seid ihr alle toll. Diesmal bleibt mir das Lachen ungewollt im Halse stecken. Ich muss kurz an Jan denken, der mir zwischendurch auf dem Balkon erklärt hat, wie wichtig dieser Nachwuchspreis für Schriftsteller ist und wie sehr es ihn ärgert, dass Literaturgrößen wie Marcel Reich-Ranicki bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur über Jahrzehnte ihre Bühne für krude One-Man-Shows missbraucht haben. Doch reichlich elitär der ganze Kram, oder?
Mal besser das Tempo erhöhen, bevor der Lesefluss versickert und ihr lieben Leser in die Weiten des Webs entschwindet: „Letzte Rettung: Wodka?!“, zeigt mir Twitter am Freitag an, als ich zwischendurch mal wieder dem Stand der Dinge auf der Spur bin. Geht's noch?
Hochkultur: Brüste und Schamhaare
Tatsächlich bringt mich der Link auf die Internetseite der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Eine Kartoffelschnapsklitsche habe angeboten, die rund 350.000 Euro für die Ausrichtung des Bachmann-Preises im kommenden Jahr zu spendieren, falls der ORF sich vom Wettlesen tatsächlich zurückzieht. „Uns ist klar, dass man darüber Witze machen kann“, zitieren die Kollegen den PR-Manager des Wodka-Herstellers, Wolfgang Oschischnig. Ich versuch mir das Lachen zu verkneifen – vergeblich. Als ich die Wodka-Nummer kurz erzähle stimmen ein paar Kollegen ein. Geht doch, trotz all dem Stress hier!
Bevor das Lachen in unserem Hühnerstall verklungen ist, bleibt mein getriebener Blick am Bildschirm hängen: Gerade ist ein neuer Artikel von unserer Kollegin Angela Leinen in Klagenfurt reingekommen. Sie schreibt über den Auftritt von Nadine Kegele. In der vorgelesenen Passage gehe es um Brüste, und um noch mehr und noch größere Brüste. Und um Schamhaare, berichtet die Kollegin weiter. Genauso wie in vier der fünf an diesem Tag vorgestellten Texte. „So wie im vorigen Jahr ständig Tiere getötet wurden“, schreibt Angela.
Au Mann, so viel habe ich da aber in den letzten Jahren nicht verpasst. Mal sehen, ob die Schamhaare bei Twitter auch so tief fliegen. Ja, tun sie – Büschelweise! Nadine Kegele bittet dort um die Teilnahme an der Internetabstimmung zur Vergabe des Publikumspreises. „Hab ja die schönsten Brüste und längsten Schamhaare“, gibt sie zu bedenken.
Hauptgewinnerin ist zarte 43 Jahre alt
Den mit 7.000 Euro dotierten Publikumspreis gewinnt sie dann auch tatsächlich, und ihr nächster Tweet überrascht sogar noch mehr: „Bin in Hawai. Danke allen. Wirklich! Sehr! Sehr! Sehr! #tddl!“
Komisch, dabei war sie doch gerade noch im Fernsehen bei der Preisverleihung in Klagenfurt zu sehen. Ist das ein Ort in Klagenfurt, den ich nicht kenne, oder auch nur wieder Prosa, Fiktion, ein distinguierter Gag?
Allergisch gegen Personenkulte aller Art kann ich ja ehrlich zu euch sein: Ist mir echt egal. Im Übrigen haben wir ja gesehen, dass durch den Bachmann-Preis junge und prekarisierte Schriftsteller die Chance ihre Lebens bekommen sollen. So wie die Gewinnerin des 25.000 Euro schweren Hauptpreises, Katja Petrowskaja, mit ihren zarten 43 Jahren.
Schade eigentlich, dass der ORF den Preis im kommenden Jahr zum 38. Mal nun doch wieder ausrichten will. Wären die Leute von dem Wodkaladen da eingestiegen, hätten sie die Chose vielleicht zu etwas umgemodelt, was auch Banausen wie mich für die Hochkultur hätte begeistern können.
Sorry, Jan. Ich hab's versucht.
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