■ Lissabons multikulturelle Jugend hat dem Fado abgeschworen. Sie favorisiert Soul, HipHop – auf portugiesisch: Die zweite Einwanderergeneration tanzt sich den Weg frei
Die schwarze Kultur lebt im Ghetto“, sagt General D. Im Paß des Rappers steht Maputo als Geburtsort eingetragen, die Hauptstadt Mosambiks. An sie hat er keine Erinnerungen. Als Kind kam er mit seinen Eltern aus der südostafrikanischen Kolonie nach Lissabon. Der 26jährige zürnt: „Zehn Millionen Einwohner hat Portugal, eine halbe Million davon sind schwarz. Trotzdem gibt es weder schwarze Politiker noch Fernsehansager.“
In harten Texten klagt der zornige junge Mann aus der zweiten Einwanderergeneration diese soziale Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung an. Seine Vorbilder: Rapper wie Ice-T aus den USA. In zahlreichen Fernseh- und Radiointerviews provoziert General D gern. Einer seiner Lieblingssprüche: „Ich möchte genug Macht haben, um einen Weißen zu bezahlen, damit er bei mir den Haushalt macht. Erst wenn es soweit ist, sind wir wirklich gleichberechtigt.“
Solche Sätze kommen gut an, vor allem bei den schwarzen Jugendlichen des Landes. Die Tonträger von General D verkaufen sich gut. Trotzdem stößt der Musiker in den eigenen Kreisen auch auf Kritik. „Was er macht, ist mir zu aggressiv“, sagt Hernani Miguel. Der 40jährige Schwarzafrikaner aus Guinea-Bissau – bis 1973 unter portugiesischer Verwaltung – ist Manager von acht schwarzen Bands. Ihre Stilrichtungen: Soul über HipHop bis zum Rap.
Zwar fordern die jungen Musiker um Hernani ähnlich wie General D mehr Rechte. „Allerdings ohne dabei beleidigend zu werden. Denn nur wer selbst kein Rassist ist, kann gegen Rassismus ansingen“, sagt der Manager, Konzertveranstalter, Besitzer eines Cafés und einer Diskothek. Hernani genießt den höchst respektablen Ruf, einer der Väter des modernen Lissabonner Nachtlebens zu sein. Portugal sei natürlich ein Land mit vielen unterschiedlichen kulturellen Interessen, sagt er. „Aber die Konflikte, die General D besingt, gibt es so nicht.“ Unterschiedliche Kulturen seien kein Grund für Streit, aber sehr wohl für einen Wettstreit.
Und den gewinnen in den letzten Jahren eindeutig Hernanis Zöglinge. Drei Preise beim Wettbewerb der portugiesischen Musikfachzeitschrift Blitz gingen allein in diesem Jahr an Bands, die der agile Manager betreut. Einen davon, den für das beste Lied, steckte die Gruppe „Da Weazel“ ein. „Rassismus wie in Deutschland oder Frankreich gibt es bei uns nicht“, sagt Pac, Sänger dieser HipHop-Nachwuchsband. „Keiner guckt dich blöd an, aber seine Tochter mit einem Schwarzen zu verheiraten, so weit geht die Toleranz nicht.“
Anglo-portugiesisch gesungener HipHop ist für den 22jährigen die beste Ausdrucksform, um sein Unbehagen an der fehlenden Toleranz zu formulieren. Warum er nicht auf die Musik seines Heimatlandes, der Kapverdischen Inseln, zurückgreift? „Wieso soll ich das? Ich war ja noch nie dort“, antwortet er. Er grinst und sagt: „Ich kann doch nicht in afrikanischen Klamotten rumlaufen. Ich bin hier aufgewachsen. Meine afrikanischen Wurzeln sind nur ein Teil von mir.“
Seine Eltern kommen beide von der Inselgruppe im Atlantik. Pac wurde auf dem Festland in Angola geboren und lebt seit frühester Kindheit in Portugal. Seine für einen Kapverden eher helle Haut verdankt er dem Großvater mütterlicherseits. Der war Weißer. Als Kind machte ihm seine Hautfarbe zu schaffen: nicht schwarz genug für Afrika, allzu dunkel für Portugal. Heute hat er keine Identitätsprobleme mehr. „Ich will schwarze Musik und zugleich universelle Musik machen. Der HipHop und der Rap vereinigen beides.“
Beto Medina, Sänger bei den „Blackouts“, hat drei Jahre in London gelebt. Für ihn ist die Stadt an der Themse „die andere große Metropole der schwarzen Kultur hier in Europa“. Auch er versteht seinen Gesang als Protest – nicht im Rap-Stakkato vorgetragen, sondern mit rauchiger Soulstimme. Das Ganze reichert er mit einem kräftigen Schuß afrikanischer Rhythmen an. „Ich liebe beides, Europa und Afrika“, sagt der 26jährige. Er singt von Sehnsucht nach dem Schwarzen Kontinent und nach den Kapverden.
Dabei kennt Beto das Heimatland seiner Eltern nur flüchtig. Einmal, mit acht Jahren, war er zu Besuch da. Heimat ist für ihn Portugal. Dennoch nimmt er sich seit seinem Abitur vor, mal wieder auf die Kapverden zu reisen. „Dieses Jahr klappt es bestimmt“, ist er sich sicher. Schließlich hat er den Vorschuß für das soeben eingespielte Debütalbum bereits in der Tasche.
Und verkaufen wird sich die Scheibe gewiß gut. Da scheint sich die internationale Plattenfirma sicher zu sein. Sie haben Beto gleich für drei Platten unter Vertrag genommen – durchaus mit Blick auf die mitteleuropäischen Marktchancen. Schwarze Musik, egal welcher Art, liegt nicht nur in Portugal im Trend. Die afrikanischen Diskotheken in Lissabon sind hip. Im „Mussulo“, einem der teuersten Tanzhäuser der Stadt, trifft sich die angolanische High- Society, die sich im Laufe des Bürgerkriegs in Lissabon angesiedelt hat. Im „B.Leza“ und im „Majong“ mischen sich Klänge der Kapverden – Heimat der auch in Europa bekannten Sängerin Cesaria Evora – mit denen der Karibik. Und im „Industria“ wird zu HipHop und Rap die Nacht durchgetanzt.
„Portugals Musik ist längst mehr als Fado, auch wenn das von der Kulturpolitik viel zuwenig wahrgenommen wird“, sagt José Eduardo Aqualusa, Schriftsteller aus Angola. Der als „afrikanischer Gabriel Garcia Márquez“ von der Kritik gepriesene Autor meint, „Provinzialismus“ präge die Kultur des Landes – was sich mit der wachsenden europäischen Integration sogar noch verstärkt habe. „Das klingt paradox, ist aber so. Die Portugiesen schwanken hin und her zwischen dem Stolz der Eroberer und der Schande, von der afrikanischen Kultur beeinflußt zu sein.“ Resultat: Man ignoriert von offizieller Seite die schwarze Kultur Portugals.
„Zumindest solange es geht“, schränkt Aqualusa ein. Dann erzählt er nicht ohne ironischen Unterton, wie vor zwei Jahren der Fado – melancholische, schwermütige Gesänge, die Amalia Rodrigues und Misia auch über die Grenze Lusitaniens hinaus bekannt gemacht haben – als importierte Musik bezeichnet wurde. Der Musikexperte José Ramos Tinhorão legte eine Untersuchung vor, in der er nachweist, daß der Fado ein Produkt des kulturellen Austauschs zwischen den afrikanischen Kolonien, Brasilien und Portugal ist. Der Fado – ein wunderschöner Stilmix aus allen Teilen des portugiesischen Kolonialreichs? Undenkbar. Anhänger des klassischen Fados räumten aber wenigstens arabische Einflüsse aus dem Mittelalter ein.
Kurzum: „Von links bis rechts machten hier alle Ramos Tinhorão nieder“, erinnert José Eduardo Aqualusa sich an die teils beleidigenden Diskussionsbeiträge in den großen Zeitungen des Landes. „Die Portugiesen sind einfach nicht fähig, die Möglichkeiten zu sehen, die in ihrem lebendigen afrikanischen Erbe stecken.“
Bis sich an dieser Haltung etwas ändert, wird das restliche Europa portugiesische Musik weiterhin mit Amalia Rodrigues, Dulce Pontes, Misia oder mit der Gruppe Madredeus verbinden. Reiner Wandler
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