Linkspartei nach der Wahlschlappe: Rettung dringend gesucht
Bei einer Krisensitzung nach der Europawahl machen die Vorsitzenden der Linken deutlich: Sie kleben nicht an ihren Stühlen.
Die Linke hatte bei der Europawahl Anfang Juni nur noch 2,7 Prozent der Stimmen erhalten – etwa halb so viele wie fünf Jahre zuvor. „Das Ergebnis der Europawahl war für die Linke ein schwerer Schlag“, heißt es in einem Beschluss nach der Sitzung zur Aufarbeitung der Wahlschlappe am Wochenende. „Zusammenfassend müssen wir feststellen: Unsere Wahlstrategie ist nicht aufgegangen.“
Schon bei der Bundestagswahl 2021 und den folgenden Landtagswahlen hatte die Linke sehr schwach abgeschnitten. Seit langem gibt es Kritik am Bundesvorstand, auch aus der Bundestagsfraktion. In den vergangenen Tagen forderten die früheren Fraktionschefs Gregor Gysi und Dietmar Bartsch eine „strukturelle, politische und personelle Erneuerung“. Sachsen-Anhalts Fraktionschefin Eva von Angern drängte Wissler und Schirdewan, beim Parteitag nicht mehr anzutreten.
Positionen drangen nicht durch
Die beiden führen die Partei seit 2022 gemeinsam. Zuvor amtierte Wissler ein gutes Jahr mit Susanne Hennig-Wellsow, die im April 2022 zurücktrat. Schirdewan hatte zuletzt schon angedeutet, dass er über einen Rückzug im Herbst nachdenke. Bei der Sitzung am Wochenende habe es selbstkritische Töne der Parteivorsitzenden und der Landesvorstände gegeben, dass programmatische Klärungsprozesse liegengeblieben seien, hieß es.
Das Beschlusspapier schlüsselt die Schwachpunkte auf: Die Linke habe sich bemüht, soziale Gerechtigkeit „zentral zu stellen“ sowie Klimagerechtigkeit, Frieden, Flucht und Kritik an der Aufrüstungspolitik zu thematisieren. Doch hätten Außenpolitik und Migration die mediale Debatte bestimmt. Vertreterinnen und Vertreter der Linken seien nicht durchgedrungen.
Die Linke hatte nach jahrelangem Richtungsstreit im Oktober 2023 mit Sahra Wagenknecht eine ihrer bekanntesten Politikerinnen verloren. Sie gründete ihre eigene Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, und erreichte bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent.
Rund 430.000 BSW-Stimmen kamen von der Linken, wie diese in ihrem Beschluss festhält. 86 Prozent der BSW-Wähler fänden es gut, dass die neue Partei sich gleichzeitig für mehr Soziales und weniger Zuwanderung einsetze. Das BSW habe „rechte Stimmungen in der Bevölkerung aufgreifen“ können und sei somit „Teil der generellen gesellschaftlichen Rechtsentwicklung“.
Von Linken lernen
In Zukunft solle die Linke „deutlicher formulieren, wie eine humane Migrationspolitik als Alternative zur Abschottungspolitik“ aussehe. Auch in der Friedenspolitik müsse die Partei wahrnehmbarer werden. Die Linke müsse soziale Gerechtigkeit als Kernthema weiter stärken und ihre Forderungen zuspitzen.
Als erste Schritte nimmt sich die Partei vor, die Veränderungen ihrer Wählerschaft genauer zu untersuchen, von erfolgreicheren linken Parteien in Europa zu lernen und sich besser mit linken Bewegungen und Verbänden in Deutschland zu vernetzen. Über den Sommer soll eine „Gesprächsoffensive“ starten.
Die Kritik von Bartsch und Gysi spielten die Teilnehmer des Krisentreffens an diese zurück. Es sei nicht gut angekommen, dass Bartsch und seine Anhänger in der Öffentlichkeit eine Personaldebatte angefeuert hätten, hieß es aus Parteikreisen.
Bartsch hatte lange versucht, die Abspaltung von Wagenknecht zu verhindern und so den Fraktionsstatus der Linken im Bundestag zu sichern. Im Beschluss vom Sonntag heißt es, deshalb seien viele Fragen nicht entschieden worden. „Im Ergebnis erschienen wir vielen potenziellen Wähler*innen als profillos oder mit unklarem Profil.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“