Linker länger im Knast: Zitterpartie für Antifa-Helden
Christian S. ist im offenen Vollzug und hat eine Arbeit, aber die Haftanstalt will seine Reststrafe dennoch nicht auf Bewährung aussetzen. Die Begründung: S. bewege sich weiterhin in der militanten linken Szene der Stadt
Auch wenn es niemand so formulieren würde - der Strafgefangene Christian S. ist für die Antifas der Stadt ein Held. Und auch Evirim Baba, Abgeordnete der Linkspartei, appelliert in einem offenen Brief an Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), dem 39-Jährigen das restliche Drittel seiner Freiheitsstrafe zu erlassen. In Internetforen setzt sich die antifaschistische Szene für die Freilassung von S. ein. Doch die Justizsenatorin sagt, sie sei nicht zuständig. Nun warten alle Beteiligten auf eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer.
Wegen tatkräftigen Engagements bei Neonaziaufmärschen hat S. wiederholte Male vor Gericht gestanden. Für die Steine, die er im März 2000 in Richtung von Neonazis geworfen haben soll, wurde er zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Das Auto, das er am 1. Mai 2004 in Friedrichshain in eine brennende Barrikade zu verwandeln suchte, um einen Neonaziaufmarsch zu stoppen, brachte ihm drei Jahre Knast ein.
Von einem angeblichen Flaschenwurf auf Zivilbeamte am Rande einer Nazidemo in Dresden wurde er in zweiter Instanz freigesprochen. Allerdings hatte er bereits elf Monate in Untersuchungshaft gesessen. Die Vorinstanz hatte den Aussagen der Polizeizeugen geglaubt. Um ihre Identität vor den Prozesszuschauern zu schützen, waren die Zivilbeamten mit falschen Bärten und Perücken aufgetreten.
Inzwischen hat Christian S. von den drei Jahren Haft zwei Drittel verbüßt. Er befindet sich seit ein paar Monaten im offenen Vollzug, und seine Anwältin Maren Burckhardt sagt, er erfülle alle Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung: Er habe die Zusage für eine feste Arbeitsstelle, sei verheiratet und habe eine Wohnung.
Das Problem ist nur: Die Haftanstalt Plötzensee hat sich in einer Stellungnahme dagegen ausgesprochen. Begründet wird das damit, dass S. nach seiner Entlassung "in sein politisch geprägtes Milieu zurückkehren wird, aus dem heraus begünstigt wird, dass er seine politische Haltung und Überzeugung auch weiterhin mit illegalen Mitteln durchzusetzen versucht". Zum Beleg dafür wird angeführt, dass es eine Solidaritätsszene gebe, die sich bis hin zu Telefonanrufen in der Anstalt für ihn einsetze.
Eine Mitarbeiterin der Justizsenatorin bestritt auf Nachfrage, dass es ein Politische-Gesinnungs-Strafrecht gibt. Das Schreiben der Haftanstalt sei nicht in allen Punkten glücklich formuliert. Das ändere nichts an der Quintessenz einer ungünstigen Sozialprognose für S. wegen seiner diversen Vorstrafen.
Bei der mündlichen Anhörung am Mittwoch im Landgericht versuchten S. und seine Anwältin, diese Behauptung zu entkräften. Die Entscheidung soll in den kommenden zwei Wochen fallen. PLUTONIA PLARRE
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