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Linker WahlerfolgRot-roter Angriff im Bundesrat?

Berliner Linke-Politiker fordert die SPD zu rot-roten Bündnissen in den Ländern auf. Nur über den Bundesrat könne die SPD noch eine Rolle in der Politik spielen

Die Linke im Bundestag wird linker - auch mit Fraktionschef Gregor Gysi. Bild: ap

BERLIN taz | Fast 12 Prozent bei der Bundestagswahl zeigen: Die Linkspartei ist endgültig ein stabiler Faktor der bundesdeutschen Politik. 2005 bekam die frisch fusionierte Linkspartei noch 8,7 Prozent. Damals trug sie der Protest gegen Schröders Agenda-Politik. Doch spätestens seit dem Sonntag ist klar, dass die Linkspartei sich nicht mehr an der SPD abarbeiten muss, um ihre Existenz zu rechtfertigen.

Vorläufiges amtliches Endergebnis

Stimmen:

CDU/CSU 33,8% (-1,4)

SPD 23% (-11,2)

FDP 14,6% (+4,8)

Linke 11,9% (+3,2)

Grün 10,7% (+2,6)

Piraten 2,0% (-)

NPD 1,5% (-0,1)

Sitze (622):

Union 239, FDP 93 – zusammen 332

SPD 146, Linke 76, Grüne 68 – zusammen 290

Die Linke feierte ihr Ergebnis im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg in einem Partyzelt auf dem Hof des Veranstaltungszentrums "Kulturbrauerei". Bei den Zahlen für die Linkspartei jubelten die knapp 1.000 Besucher frenetisch, doch sie wurden sehr still als das ZDF zeigte, dass es für eine Koalition aus CDU und FDP reicht.

Dann trat Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch vor die Presse: "Das ist ein sensationelles Ergebnis", jubelte der Linksparteipolitiker, "wir haben 10 Prozent plus X gewollt und nun sind wir deutlich darüber." Bartsch betonte, das seine Partei damit stärker sei als die CSU und auch stärker als die Grünen. Er sagte weiter, die Linke werde im Bundestag "Widerstand leisten, wenn Sozialabbau angesagt ist."

Klar ist aber dennoch: Im Bundestag wird es für die Linke künftig schwerer sein, die Politik gegen eine komfortable schwarz-gelbe Mehrheit weiter nach links zu verschieben. Schließlich sitzt die SPD, die man bisher unter Druck setzen konnte, ebenfalls in der Opposition. Der designierte Fraktionschef der in Berlin mitregierenden Linken, Udo Wolf, hatte deshalb noch am Wahlabend eine Idee, wie dem zu begegnen sei.

Dafür appellierte er an den Machtwillen der Sozialdemokraten: "Wenn die SPD bundespolitisch überhaupt noch eine Rolle spielen will, muss sie auch in anderen Bundesländern Rot-rot oder Rot-rot-grün anstreben." Nur so hätten die Sozialdemokraten die Möglichkeit ein Patt im Bundesrat herzustellen und über diesen Weg Einfluss zu nehmen. Wolf weiter: "Nach den Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein und Brandenburg ist Berlin in dieser Hinsicht ein Vorzeigemodell."

Nach dem Wahlerfolg ist es kaum noch möglich, die Linkspartei weiterhin für eine instabile Protest- und Stimmungspartei zu halten. Das Spitzenduo Oskar Lafontaine und Gregor Gysi hatte im Wahlkampf gebetsmühlenhaft zwei Argumente wiederholt, die offenbar angekommen sind: Die Linkspartei ist gegen den Afghanistan-Krieg, Hartz IV und die Rente mit 67. Und: Die Stimme für die Linkspartei ist nicht verloren, weil sie auch als Opposition direkt die politische Architektur nach links verschiebt.

Durch das katastrophale Ergebnis der SPD fühlte sich die Linkspartei am Sonntagabend in ihrem Kurs bestätigt. "Wir hoffen, dass die SPD aus dem Ergebnis lernt", sagte Linken-Vizechef Klaus Ernst. "Sie hat nun die Chance, sich in der Opposition zu regenerieren." Parteivize Katja Kipping, die in Sachsen das Ergebnis feierte, sagte der taz, sie hoffe nun auf eine "Resozialdemokratisierung der SPD".

Der entscheidende Grund für das gute Ergebnis der Linkspartei ist ein Wandel in der mentalen Großwetterlage. Als vor einem Jahr die globale Finanzkrise ausbrach, fragte viele überrascht, warum die Krise nicht direkt der Linkspartei zu gute kommt. Das war indes absehbar: Das Bedürfnis nach Sicherheit dominierte - und dies nutzt stets eher der Regierung, nicht der Opposition. Doch gerade weil die Krise auf dem Arbeitsmarkt bis jetzt noch nicht recht spürbar wurde, kehrte das Gerechtigkeitsthema auf die Tagesordnung zurück. Und davon profitierte die Linkspartei, die das Copyright auf soziale Gerechtigkeit beansprucht.

Einen Schub bekam die Linke auch durch ihre Erfolge bei den Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen. Dass sie dort vielleicht mit der SPD regieren wird, signalisierte, dass die Partei auf dem Weg aus der Schmuddelecke ist.

Die neue Fraktion im Bundestag wird linker sein als die alte. Die zentralen Figuren bleiben die Fraktionschefs Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Doch vor allem aus Nordrhein-Westfalen, wo die Antikapitalistische Linke (AKL) dominiert, weht ein scharfer Wind von links. Neben Ulla Jelpke, der Organisatorin des Widerstands gegen alle rot-rot-grünen Lockerungsübungen, zieht auch Sahra Wagenknecht in den Bundestag ein. Wagenknecht, die die Fundi-Gruppe Kommunistische Plattform anführt, steht für einen strammen Oppositionskurs, dem alle Abweichung als Verrat gilt. Ihr Gewicht in der Partei wird, wegen ihrer Medienpräsenz, oft überschätzt. Doch dass sie nun im Bundestag sitzt, ist ein echter Karrieresprung für sie.

Höchstwahrscheinlich wird, ebenfalls aus NRW, Andrej Hunko mit ihr in die Fraktion einziehen, der im Frühjahr zu "sozialen Unruhen" aufrief und zuvor Mitarbeiter des Fundis Tobias Pflüger im Europaparlament war. Aus Hessen scheint Christine Buchholz den Sprung in den Bundestag geschafft zu haben. Sie kam von der trotzkistischen Splittergruppe Linksruck zur Linkspartei und gilt ebenfalls als straff ideologisch ausgerichtet.

Das Personal der Realos hingegen hat sich kaum verändert. Neu ist Caren Lay, die als Reala gilt und wohl über die sächsische Landesliste in den Bundestag einzieht. Stefan Liebich, Ex-Fraktionschef der Berliner Linkspartei, hat schon praktische Erfahrungen mit einem Bündnis mit der SPD. Liebich wird versuchen sich in der Außenpolitik zu profilieren. Angesichts der harten Konfrontation mit der SPD beim Afghanistaneinsatz und EU-Vertrag ist dies ein Schlüsselbereich, in dem in den kommenden Jahren Barrieren abgebaut und Kompromisslinien erkundet werden müssen.

Mitarbeit: Plutonia Plarre, Daniel Schulz

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