Linke: Christa Müllers böser Geist
In der Linkspartei rätseln Genossen rätseln, ob Oskar Lafontaine über Kinder und Familie genauso denkt wie seine Frau.
Ein Gespenst geht um in der Linkspartei. Es ist der böse Geist, der in Christa Müller steckt, er soll jetzt auch in Oskar Lafontaine gefahren sein. Wenn der Vorstand der Linken heute zum ersten Mal nach der Sommerpause in der Parteizentrale in Berlin zusammenkommt, soll das Gespenst dingfest gemacht werden. Aber alle wissen: Es ist schwer zu fassen.
Christa Müller ist die Ehefrau von Oskar Lafontaine. In dieser ganz und gar privaten Angelegenheit steckt der Kern eines politischen Problems, das die Linke seit Monaten umtreibt. Schließlich sind Müller und Lafontaine nicht irgendwer: beide prominent, beide aus der SPD ausgetreten, sie heute familienpolitische Sprecherin der saarländischen Linken, er Partei- und Fraktionsvorsitzender in Berlin.
Der Vorstand der Linkspartei trifft sich am Samstag in Berlin. Ein Thema werden auch Christa Müllers umstrittene Vorstellungen zur Familienpolitik sein. Dieser Wochenendtermin ist keinesfalls Zufall - seine Sitzungen hält der Parteivorstand regelmäßig samstags ab, im Abstand von zwei Wochen. Die im Juni neu gegründete Linke unterscheidet sich damit von allen anderen Parteien. Deren Vorstände tagen montags. Der etwas eigenwillige Sitzungsplan der Linken hat einen Grund: Weit mehr als zehn Mitglieder des insgesamt 44-köpfigen Bundesvorstandes sind keine Profipolitiker; fast alle von ihnen waren früher Mitglied der WASG. Sie üben normale Berufe aus. Thies Gleiss, 52, aus Köln etwa arbeitet als technisch-kaufmännischer Angestellter in der Maschinenbauindustrie, Jürgen Klute, 54, ist Referent an der Evangelischen Stadtakademie Bochum, Britta Pietsch, 43, aus Mönchengladbach arbeitet als Krankenschwester. Sie könnten es sich nicht leisten, jeden zweiten Montag nach Berlin zu fahren und auf der Arbeitsstelle zu fehlen. Dass der Samstag-Termin wenig Aufmerksamkeit bei den Medien erregen wird, nimmt die Linke in Kauf.
Das Problem nahm seinen Anfang im März. Damals verteidigte Christa Müller die umstrittene These des Augsburger Bischofs Walter Mixa, dass es Ursula von der Leyen mit ihrer Familienpolitik nur darum gehe, gut ausgebildete Frauen so schnell wie möglich in ihren Beruf zurückzubringen. Müller sprach von einem "öffentlichen Propagandafeldzug für die Fremdbetreuung auch von Kleinstkindern".
Vor allem die Frauen in der Linkspartei waren empört. "Rollenklischees aus der Mottenkiste" warfen sie Müller vor. Oskar Lafontaine machte sich die Wortwahl seiner Frau nicht zu eigen, aber er verteidigte den Kern ihrer Botschaft und damit auch deren Subtext: Mütter können auch ohne Beruf glücklich sein. Ganz so wie Christa Müller selbst, die nach der Geburt ihres Sohnes Carl-Maurice 1997 ihren Beruf als Wissenschaftlerin aufgab. "Heute ist mir das Glück meiner Familie einfach wichtiger als ein Job", sagt sie.
Ihre spektakuläre Fortsetzung fand die Auseinandersetzung in der Linken nach einem Spiegel-Streitgespräch, das Christa Müller mit Familienministerin Ursula von der Leyen Ende Juli führte. Darin verschärfte Müller noch einmal ihren Ton. Die von der CDU-Ministerin geplanten 500.000 neuen Kitaplätze bezeichnete sie als "Überangebot", das auf Frauen Druck ausübe, bereits ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten zu gehen. Sie sprach von einem "Zwang zur Fremdbetreuung". Sie stellte die These auf, dass Kinder sich dann "am unwohlsten fühlen", wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten. Sie forderte "Wahlfreiheit" für alle Eltern für die Art der Kinderbetreuung. Mütter und Väter, die ihr Kind zu Hause erziehen, sollten ein Erziehungsgehalt bekommen, und zwar vom ersten bis zum zwanzigsten Lebensjahr des Kindes.
Wieder Aufruhr in der Linkspartei. "Wir wollen keine Herdprämie!", riefen viele Frauen und einige Männer. Die stellvertretende Parteichefin Katina Schubert spricht gegenüber der taz von einem "völlig antiquierten Frauen- und Familienbild", das Müller vertreten. Schubert und andere Mitglieder des Parteiführung, unter ihnen Caren Lay, Elke Breitenbach und Rosemarie Hein, wollen in der Vorstandssitzung am Samstag die Familienpolitik der Linken klarstellen lassen. In einem dreiseitigen Positionspapier, das der taz vorliegt, formulieren sie eine Müller-Antithese nach der anderen. Von einem "Paradigmenwechsel in der Geschlechter- und Familienpolitik" ist da die Rede. Von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Vom flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung. Kinderkrippen und Kindergärten werden als "wichtige Einrichtungen zur frühkindlichen Bildung" bezeichnet. Eine sechsmonatige Kita-Kampagne der Linken, für die der Vorstand am Samstag den Startschuss gibt, wird mit den gleichen Forderungen geführt.
Und Oskar Lafontaine? Er laviert. Ein Wort wie "Fremdbetreuung" kommt ihm nicht über die Lippen. Das Programm seiner Frau - Wahlfreiheit für die Eltern, Erziehungsgehalt - hat er in einem Zeitungsgespräch Anfang August jedoch verteidigt. Verteidigt er damit auch Christa Müllers ideologisches Zerrbild? Muss er sich dazu überhaupt äußern, nur weil es seine Ehefrau betrifft? Soll er sich von ihren Worten distanzieren? Ist das Ganze also doch nur eine Gespensterdebatte?
Fraktionschef Gregor Gysi teilt Christa Müllers Positionen zu "90 Prozent" nicht. "Da gefallen mir die Positionen von Ursula von der Leyen sogar etwas besser." Aber er ermahnt insbesondere die Frauen in seiner Partei, zwischen den Eheleuten zu unterscheiden. Müller und Lafontaine würden nicht in allem übereinstimmen, und das sei auch völlig legitim.
Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch lehnt Müllers Ansichten ebenfalls ab. Gleichzeitig warnt er seine Genossen davor, den Streit "bis zum Exzess" zu führen - "nur weil sich einige an anderer Stelle nicht trauen, Lafontaine zu widersprechen", sagt Bartsch zur taz. Auch Wulf Gallert, Fraktionschef der Linken in Sachsen-Anhalt, will die Debatte entpersonalisieren. "Es wäre ja albern, wenn die Partei jetzt beschließt, was im Hause Lafontaine/Müller am Abendbrottisch beredet wird."
Parteivize Schubert verlangt von ihrem Chef am Samstag eine Klarstellung seiner Position. Dass hinter seinem Lavieren auch Kalkül steckt, ist ihr klar. Lafontaine glaubt, mit einer konservativen Familienpolitik im katholischen Saarland punkten zu können. Die Saar-Linke wird das auf ihrem Landesparteitag am 9. September zu ihrer offiziellen Position machen. Lafontaine hat im Saarland schließlich noch viel vor: 2009 will er dort Ministerpräsident werden.
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