Linke Stadtspiele: Schnitzeljagd für den Frieden
Am Samstag versammelten sich rund 300 junge Menschen, um tanzend für den Weltfrieden durch die Stadt zu ziehen. Die Polizei versuchte, die Veranstaltung aufzulösen. Gefeiert wurde trotzdem.
Der Sinn der Kiste erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Bunt geschmückt ist sie, elektrifiziert, eine Art Bollerwagen? Ihr wahres Gesicht enthüllt sie erst, als der Bass der Musikanlage losrollt und die Menge anfängt zu johlen. Die "Tofuschnitzeljagd für den Weltfrieden" beginnt.
Die Schnitzeljagd organisiert das B.U.M.S., das Bündnis für urbane Mobilbeschallung. Die Feiernden sind verkleidet als Tiere, Piraten, Zirkusdirektoren und Fabelwesen. Vom Baby bis Mitte 30 ist alles dabei. Sie schwenken Fahnen, Schirmchen, Wunderkerzen und ein Einhorn am Stiel.
Zuerst geht es darum, Teams zu bilden. Rot, orange, rosa, blau, gelb, schwarz: Von jeder Farbe rennen Abgesandte umher und verteilen Federn und Schminke. 300 Menschen machen die Wiese hinter dem Bethanien zu einem Farbenmeer. Ein Mädchen, das aussieht wie Pippi Langstrumpf, packt sich eine Musikanlage und geht los. Mitten auf die Straße zieht die tanzende Prozession. Verkehrsregeln? Nein, hier herrscht Freiheit, wenn nicht Anarchie. "Spaß hat Vorfahrt!", brüllt eine Schnitzeljägerin und winkt mit einer Fliegenklatsche.
Um Spaß geht es, und Politik soll wohl auch dabei sein. "Wir werden hier nicht die Welt verändern, aber vielleicht den einen oder anderen dafür sensibilisieren, dass es da draußen eine Welt gibt, die man verändern kann. Politikverdrossenheit muss nicht sein, Politik darf Spaß machen", erklärt Mitorganisatorin Mila.
Die chaotische Truppe würde schnell auseinanderdriften, wäre da nicht die Musik, die sie, wie der Rattenfänger von Hameln, hinter sich herzieht. Die Passanten gucken ungläubig, irritiert bis verstört, staunen mit offenen Mündern. Aber dann legt sich doch ein Lächeln auf ihre Lippen. Vor allem die Kinder lassen sich schnell anstecken, spielen begeistert mit einem riesigen Ball aus Luftballons. Um gegen Überwachung zu protestieren, werden unterwegs Kameras aus Pappe gebastelt. Die reale Überwachung ist auch schon anwesend. Ein Hubschrauber kreist über Kreuzberg, versucht anscheinend, die verschlungenen Wege der sechs Teams im Blick zu behalten.
Am Kottbusser Tor stehen die ersten Polizisten in Kampfmontur. Aus Protest gegen die Schließung des Druckraums in der Dresdener Straße packen die Teilnehmer Spritzen aus und wälzen sich krampfend auf dem Boden. Doch sie stehen grinsend wieder auf und lassen sich von der Polizei über die Kreuzung eskortieren. Kurz hinter dem Moritzplatz wird die Veranstaltung eingekesselt. "Die haben aber auch keine neuen Ideen", sagt ein Teilnehmer im rosa Bademantel.
Die Ideen der Organisatoren sind da vielfältiger. Hier gilt es als legitime politische Ausdrucksform, der Welt seinen Hintern zu zeigen, Polizisten zu küssen, Einkaufszentren oder den Fernsehturm tanzend zu besetzen. Angesichts der Polizeisperren gehen die Teilnehmer konfrontativ darauf zu. Doch statt mit Steinen wird mit Komplimenten um sich geworfen. Denn eine der Aufgaben ist es, der Polizei seine Liebe zu gestehen. Ein Teilnehmer umarmt einen Polizisten und erklärt, an die Menge gewandt: "Also, wir haben uns hier auf der Demo kennengelernt, es war Liebe auf den ersten Blick." Ein bunt geschminktes Mädchen spricht einen weiteren an: "Sie sind mir eben schon aufgefallen, diese blauen Augen zu dem Grün, wow … ficken?"
Die Polizisten setzen ihre Helme auf. Es kommt zu Festnahmen, ohne ersichtlichen Grund. Als Höhepunkt des Widerstands fliegt ein Döner in Richtung Polizei. Dabei bleibt es aber auch. Es scheint, als hätte die Staatsmacht gewonnen. "Die spielen aber auch immer unfair, die sind viel mehr und haben doch schon das ganze Jahr trainiert", sagt ein Teilnehmer mit rosa Riesenhasenohren. Die restlichen Schnitzeljäger schmuggeln sich auf Schleichwegen in den Tiergarten.
Auf einer Lichtung finden sich plötzlich doch wieder hunderte tanzende Menschen, so viele wie zuvor. "Eins zu null gegen Team Grün. Politik hat noch nie so viel Spaß gemacht!", johlt eine Teilnehmerin - und der ganze Stress löst sich auf, in Seifenblasen und Konfetti.
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