Linke Regierung in Peru tritt an: "Vieles ist korrigierbar"
Südamerika ist weiter auf Linkskurs – Ollanta Humala tritt sein Amt als Präsident Perus an. Der Chef der Wahrheitskommission, Lerner Febrés, hofft im taz-Interview, dass Humala Versöhnung bringt.
taz: Herr Lerner, am 28. Juli wird in Lima die neue Regierung vereidigt. Was erwarten Sie vom neuen Präsidenten Ollanta Humala?
Salomón Lerner Febres: Ich erhoffe mir von der neuen Regierung Initiativen in Richtung Versöhnung und Aufarbeitung unserer Vergangenheit. Natürlich weiß auch ich, dass es Leute gibt, die Ollanta Humala als ehemaligen Soldaten, der gegen die Aufständischen gekämpft hat, der Nähe zu den Militärs bezichtigen. Doch ich glaube, dass er ein Bewusstsein dafür hat, dass es in Peru eine Bevölkerungsschicht gibt, die eben nicht respektiert und integriert, sondern systematisch ausgeschlossen wird.
Von wem?
Vom Staat und den gesellschaftlichen Gruppen, die ihn dominieren. Ollanta Humala gehört nicht zu dieser Elite, das zeigt schon sein Name. Er hat sich für die Einbeziehung der ausgeschlossenen Bevölkerungsschichten und für die Menschenrechte ausgesprochen, und ich glaube, dass dies auf einer ernsthaften, realen Besorgnis beruht. Dazu verpflichtet ihn auch das Wahlergebnis, denn er hat überall im Landesinneren gewonnen - nur nicht in Lima.
Sie nehmen Ollanta Humala sein soziales Engagement ab?
Menschenrechtler, Philosophieprofessor, Jurist und Leiter der Kommission für Wahrheit und Versöhnung, die den Bürgerkrieg in Peru zwischen 1980 und 2000 aufklären sollte.
Ja, denn er steht nicht für das alte System wie all die anderen Kandidaten, die sich zwar um die Wirtschaftsdaten sorgen, aber nicht um die Verteilung der Reichtümer und den Abbau sozialer Ungleichheit. Das gilt für Keiko Fujimori genauso wie für Alejandro Toledo, Luis Castañeda oder Pablo Kuczynski. Insofern ist Humala eine wohltuende Ausnahme, da er sich mit der sozialen Situation in Peru ernsthaft auseinandersetzt.
Ollanta Humala tritt an diesem Donnerstag sein Amt als peruanischer Präsident an. Der 48-jährige Ex-Militär mit indianischen Wurzeln hat die Stichwahl Anfang Juni gewonnen. Ollanta Humala erklärte, eine politische Wende einleiten zu wollen. Peru geht damit als weiteres Land in Südamerika auf Mitte-links-Kurs. Humala begreift sich als Teil dieser heterogenen Linken. Er kündigt eine behutsame Politik der kleinen Schritte an. Die erste Herausforderung für ihn sind die Proteste gegen Bergbau- und Staudammprojekte. (gd)
In Peru häufen sich die Konflikte. Erst Ende Juni kam es bei Protesten gegen die Eröffnung einer Silbermine zu mehreren Toten.
Der Regierung García ging es in erster Linie um Wachstum und die Generierung von ausländischen Direktinvestitionen. Die Rechte der Bevölkerung gelten dabei als nachrangig, denn schließlich bringt die Ausbeutung dieser Ressourcen dem Staat Einnahmen, aber eben auch - und das wird gern übersehen - ökologische und soziale Kosten. Die werden auf die lokale Bevölkerung abgewälzt. Die hat es in immer mehr Regionen mit der Vergiftung von Flüssen, dem Verlust von Anbauflächen, der Verdrängung von traditionellen Anbauprodukten und dem Mangel an Wasser zu tun.
So wie in Cajamarca, wo die größte Goldmine Lateinamerikas die Wasserressourcen der ganzen Region beansprucht?
Ja, Cajamarca war einst eine interessante Kolonialstadt, eine Agrarstadt. Heute ist es ein Beispiel dafür, wie sich der Bergbau auf die städtische Entwicklung auswirkt: Die Zahl der Bordelle ist gestiegen, es ist Geld in der Stadt und die Korruption sichtbar - alles Negative des modernen städtischen Konsums kann man hier beobachten, mit Entwicklung hat das wenig zu tun.
Aber glauben Sie, dass die neue Regierung in der Lage und willens sein wird, diese Form der Entwicklung, die Sie ablehnen, zu überwinden?
Das ist eine große Herausforderung, ich weiß. Aber vieles ist korrigierbar, wenn man Partizipation ernst nimmt und ihr die Bildung zur Seite stellt. Man muss die Leute weiterbilden, der Bevölkerung ihre Rechte erklären, soziale Gerechtigkeit sichtbar machen und die Jugend des Landes in die Lage versetzen, dieses Land zu regieren. Da können in fünf Jahren Regierungszeit wichtige Weichen gestellt werden. Das setzt aber ein Engagement in vielen Bereichen voraus und dabei ist die Beteiligung der Bürger unerlässlich.
Nach den Jahren des Populismus und des Klientelismus wäre das ein markanter Bruch …
Ja, wir brauchen den Bruch, denn Keiko Fujumori hat doch nur so viele Stimmen erhalten, weil ihr Vater durch das Land gereist ist und mit den Leuten gesprochen hat. Die fühlten sich ernst genommen - und Humala hat sich eben um die Leute auf dem Land gekümmert. Was aber fehlt, ist ein nationaler Entwicklungsplan auf lange Sicht.
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