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Linke Priester

■ "Go west - die PDS verbündet sich", taz vom 30.7.90

betr.: „Go west - die PDS verbündet sich“, taz vom 30.7.90

Zu der Diskussion über die Vergangenheit und Zukunft des (marxistisch-leninistischen) Sozialismus, die sich die (bundes)deutsche orthodoxe Linke zum zigtausendsten Mal geleistet hat, fällt mir nur noch ein Zitat des ehemaligen Jesuiten und Professors der päpstlichen Universität, Alighiero Tondi, ein. Er schreibt über die Ausbildung katholischer Theologiestudenten:

„Es ist unmöglich, mit den Dozenten zu diskutieren, ihr Gehirn ist eingetrocknet. Sie sehen nicht, und man kann leicht erkennen, daß einige von ihnen nicht sehen wollen, die anderen aber nicht sehen können. Dringt man in sie ein, werden sie zornig. Wenn jemand die Kühnheit besitzt, eine gewisse Grenze zu überschreiten, so wird er, wenn auch mit Höflichkeit, als ein Ignorant hingestellt; oder aber man überzeugt ihn, daß er nichts begriffen habe und daß er unfähig sei zu begreifen. (...) Geduldig, mit vornehmer Herablassung, in sanfter Ironie und mit einem leichten Schütteln des Hauptes wird der Gesprächspartner angehört. Und man erwidert, daß jugendliche Köpfe unerfahren und revolutionär seien, daß man in die Tiefe gehen müsse und daß man erst als Fünfzigjähriger, nach dreißig Jahren Studium, klarsehe.“

Die Art und Weise, wie mit Zweifeln an der Richtigkeit marxistisch-leninistischer Dogmen umgegangen wird, wie das mehrmalige vollkommene Scheitern der Linken und realsozialistischer Projekte verdrängt und umgelogen wird, wie KritikerInnen für nicht zurechnungsfähig und dumm erklärt werden und auf alle Fragen der Geschichte die ewig gleichen Antworten gefunden werden, zeigt mir, daß die Analogie zu obigem Zitat mehr als zufällig ist.

Die meisten orthodoxen Linken, gerade deutscher Provnienz, gebärden sich als Priester einer repressiven und rigiden Religion. Freiheit, Demokratie und Menschenwürde sind mit dieser Einstellung nie zu erreichen. (...)

Wilfried Schwetz, Hannover (BRD

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