: Limbo machen
Reagenzglasbeat und Teilchenbeschleunigerpop: Felix Kubin spielt manische Musik im Maria am Ostbahnhof
Felix Kubin ist eine „dialektische Erscheinung“, denn er, der Labelowner und Musiker, sagt: „Natürlich muss ein Musiker dumm sein.“ Und sagt dann: „Ein Labelboss muss natürlich schlau sein.“ Und sieht da keinen Widerspruch. So wie seine Kunst keine Widersprüche kennt.
Kubin ist als Schreiber geistverschwistert mit dem Zeichner Tex Rubinowiz, als Musiker wird er von dem Label A-Musik mit Holger Hiller oder mit Der Plan verglichen. A-Musik ist das richtige Label für ihn, da es im todernsten Köln verrufen ist für seine „verrückten Sachen“ – gewissermaßen die Fortsetzung von Indierock mit den Mitteln der Elektronik. Was auch Kubins Musik ist. „Das ist vielleicht auf eine Verwandtschaft mit Alfred Kubin, dem Expressionisten, zurückzuführen, sagt Kubin, „obwohl ich vielleicht gar nicht mit ihm verwandt bin. Das weiß ich jetzt nicht.“
Das ist auch egal. Der Hamburger Kubin lebt in Hamburg. Wenn einer dort lebt, dann müsste er zum Umfeld der Hamburger Schule gehören, so wie man auch Lotto King Karl oder Selig oder das Lutz Erkenstädt Orchestra dazuzählt, weil dieser Begriff alles und nichts bedeutet. Doch Felix Kubin mag nicht, wenn man ihn dazuzählt – nicht, weil er nicht alles und nichts sei, sondern weil der „Schule-Clan“ ihm Schranken in den Weg gestellt habe, „unter denen ich mich gefährlich durchlimboen musste“.
Folglich feierte Felix Kubin seinen größten Erfolg in Lissabon, wo man ihm bescheinigte, er habe „geklungen, als ob er das Publikum in die Mikrowelle gesteckt hat“. Er selbst beschreibt seine Stücke mit „Klänge aus dem Chemielabor“ oder auch „Reagenzglasbeat und Teilchenbeschleunigerpop“. Oder „Psychoscifipopia“, wie „die Finnen es nennen“ und wie eine Compilation auf Kubins Label Gagarin Records heißt, auf der wiederum allerwildeste Stücke von Brezel Gröing zu hören sind. Felix Kubin verspricht also manische Musik. Und keine Laptopmusik, die Kubin so skizziert: „Schwarze Fliege an weißer Wand – Zeit vergeht – Da! Ein Ton!“
Ein weiteres wildes Vergnügen verspricht Top Banana Richard, der im geldabhängigen Leben Gastorganist bei „Die Sterne“ ist, heute abend aber die Orgel leiern lässt. Den Abschluss des Abends gestaltet dann selbstverständlich Julius Nerdinger, der als DJ all das spielt, was man live eben noch nicht verstanden hat. Das alles zeigt: die Flittchenbar. Die hat die Galerie Berlintokyo beerbt, die seinerzeit die Szene beerbt hat, die seinerzeit in jenem Kreuzberg gelebt hat, aus dem eben jetzt wiederum die Flittchenbar hervorgegangen ist. Es wird also alles so lustig wie früher. JÖRG SUNDERMEIER
Heute, 22 Uhr, Flittchenbar im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8–10
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