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Liese & Miese im Treppenhaus

Liese: Guten Morgen!

Miese: Na, von wegen guten Morgen!

Kann ich Ihnen irgendwie helfen?

Nee, Kindchen, in der Sache nich.

Ja, in welcher Sache denn? Ich hab heute noch keine Zeitung gelesen.

Zeitung gelesen ... Sie machen mir Spaß!

Ja, ist was im Rundfunk bekannt gegeben worden?

Also, Sie sind wirklich zu naiv, Kindchen. Als ob so was durch den Rundfunk durchgegeben würde.

Ja, ich hab wenig Zeit! (will gehen)

Hör’n Sie! Hör’n Sie! Ich weiß es aus allererster Quelle ...

Ach so! Dann weiß ich Bescheid.

(enttäuscht) Ooch, Sie wissen’s auch schon?

Nein, was es diesmal ist, nicht. Aber „aus allererster Quelle“, das riecht irgendwie sauer.

Riecht hier was? Ich hab nämlich meine Suppe auf’m Ofen.

Nein, so hab ich’s nicht gemeint. Sie ham mir doch erst in der vorigen Woche die Sache mit den Fleischmarken erzählt. Und das mit dem Fleisch, das war doch eine Ente.

Alles kann ja nich stimmen, was man so hört ...

Eben. Das meine ich.

Aber diesmal stimmt es. Da könn’ Sie Gift drauf nehmen. Ich war rasch unten auf’m Markt, und da hab ich die Frau Puvogel getroffen, nich. Die hat doch eine Aufwartestelle beim Ministerialdirektor zwei Häuser von hier. Und die hat mir erzählt, ganz klar und offen ... (tuschelt Liese ins Ohr)

Tabletten?!?

Vitamintabletten! Das is nämlich so: Bis jetzt haben sie die Butter, den Käse und die Wurst aus Kohle und anderen Chemikalien gemacht, und dann so ... mit Vitamin bestrahlt.

So, und das soll’n wir jetzt alles gleich in Form von Tabletten bekommen?

Ja. Dafür fall’n die Lebensmittelkarten weg. Natürlich nur für uns. Die da oben – die ham ja genug!

(süffisant) Klingt ja unglaublich.

Isses aber nich. Was die Frau Puvogel is, darauf schwöre ich. Die hat auch noch gesagt, dass die da oben jetzt alle auf ihre Marken schnell noch einkaufen.

Warum denn das?

(empört) Weil’s katastrophal is! Die ham nichts mehr zu essen für uns!

Und das glauben Sie. Sie Ärmste!

Sie etwa nich?

Nee! Weil’s mir zu dämlich is!

Da könnte ich Ihnen noch ganz andere Sachen erzählen. Zum Beispiel die Sache mit den Banken ...

(Schritte auf der Treppe) Komm’ Sie! Komm’ Sie! Komm‘ Sie! (zieht Liese in ihre Wohnung)

Sie lassen sich aber auch alles aufbinden.

Sind Sie wahnsinnig? Pssst!

(besonders laut) Wieso? Das kann doch jeder hören, haben Sie gesagt.

(sieht durch den Spion) Na bitte, da ham Sie’s: Polizei! Was mach ich denn nun?

Auf! Was denn sonst?

Aber der hat doch alles gehört! Ich komm doch in Deubels Küche!

Ja, wenn das stimmt, was Sie gesagt haben, dann kann Ihnen doch kein Mensch was wollen.

Quatsch! Weiß denn ich, dass alles stimmt, was erzählt wird?

Warum erzählen Sie’s dann weiter?

(Miese stöhnt. Es klingelt) Wenn das nur gut geht. (öffnet die Tür, tut begeistert) Heil Hitler, Herr Wachtmeister! Also hier sind Sie bestimmt falsch. Ich habe NIE ... und wenn Sie zufällig auf der Treppe was gehört haben sollten ... also, die Dame kann bezeugen, dass ich immer SEHR positiv eingestellt bin. Und bei Haussammlungen – ich geb immer das meiste. Also, was Sie ausgerechnet bei mir wollen ...

Polizist: Immer mit der Ruhe, meine Dame. Sind Sie hier die Frau ...

Ja, allerdings. Was mich betrifft ...

Polizist: Betrifft Sie ja gar nicht. Betrifft vielmehr eine gewisse Frau Sagebiel.

(erleichtert) Aah, die Sagebiel!

Polizist: Hat früher hier gewohnt. Da stimmt was mit der Abmeldung nicht.

Ach, die Sagebiel! Also, die wohnt jetzt Blütenbergallee 23.

Polizist: Da wer’n wir sie uns mal kommen lassen. Ich danke Ihnen.

(hektisch) Heil Hitler, Herr Wachtmeister, Heil Hitler! (schließt die Tür) Schöner Schreck in der Morgenstunde! Wenn der was gehört hätte!

Liese: Sie wollten mir doch noch was erzählen. Von den Banken oder so was.

Na, ich werde mich hüten. man muss doch jetzt soo vorsichtig sein!

Hhm. Muss man. Aber ICH werd Ihnen jetzt was erzählen, und das weiß ich aus ABSOLUT sicherer Quelle.

Ach, was Politisches?

Hhm. Was Ernährungspolitisches!

Steht schlecht, was?

Katastrophal!

Na, so reden Sie doch!

Also wissen Sie, die Verantwortlichen reden und reden und reden ...

Meine Rede, meine Rede!

Hhm, Ihre Rede. Und unterdessen brennt die ganze Suppe an!

Wieso? Oohhh! (quiekt, stürzt in die Küche. Liese lacht schadenfroh)

Text leicht gekürzt

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