Lieferungen gewöhnlich gutinformierter heißer Luft

■ Die VW–Devisen–Schieflage war eine große Stunde des Platow Briefs, einem der teuren „Wirtschafts–Informationsdienste“ / Er umfüttert seine raren wirklich „heißen Infos“ in der Regel jedoch mit viel Banalitäten und politischer Meinungsmache / Der rentenreife Macher sucht nach einem würdigen Nachfolger

Von Ulli Kulke

Das Outfit der vierten Etage in der Frankfurter Brönnerstraße 15 duftet noch nach der Gründerzeit des Unternehmens im Jahre 1946, obwohl man inzwischen längst das Etablissement gewechselt hat - ja, es hat geradezu das gewisse „ostzonale“ Etwas an sich. Der kautzige Hausherr paßt dazu, auch wenn er alles andere als „ostzonal“ eingestellt ist. Dr. Gerhard Czerwensky, konservativ bis rechts und voller Unrast stets in mehreren Räumen gleichzeitig, empfängt schließlich nach längerer Wartezeit in seinem geräumigen Büro: eine Lagerstatt jeder Menge Akten und Unterlagen aller Art. Kein Zweifel, Gerhard Czerwensky ist von hektischer Natur. Dieser Tage hat er indes konkreten Grund zur Aufregung: Sein Informationsdienst, der Platow Brief, hatte keinen geringeren als den Volkswagen–Konzern erschreckt, als er im vergangenen November die Devisenschieflage des Unternehmens an die Öffentlichkeit brachte. VW dementierte seinerzeit heftig, vor zwei Wochen aber bestätigte sich alles. Platow alias Czerwensky hatte Recht behalten, und seitdem versäumt er es nicht, in seinem vierseitigen „exklusiven“ Brief (Erscheinung dreimal die Woche, Monatsabonnement 48,50 DM!) auf diesen Triumph hinzuweisen. Viele Leute rufen an. Zumindest bei einem Teil seiner Abonnenten hatte er einen solchen Triumph allerdings auch bitter nötig. Viel heiße Luft „Für solche Latrinenparolen haben wir unsere Toilette“, erläutert der Wirtschaftsredakteur ei ner liberalen Tageszeitung seinen Gesamteindruck des Informationsdienstes, „viel heiße Luft“ ist da für seinen Kollegen im Spiel. „Unter den Informationsdiensten sicher der seriöseste“, meint dagegen der Journalist eines Hamburger Wochenblattes, und für den mit dem Ohr stets am Geschehen der Großfinanz klebenden Mitarbeiter des Handelsblattes ist die regelmäßige Lektüre am Erscheinungstag des Informationsdienstes schlicht ein „must“. Recht haben sie alle, es kommt, wie so oft, auf den Standpunkt an. Platow–Chef Czerwensky, der lediglich einen zweiten Redakteur beschäftigt, wirbt mit seiner Exklusivität, seinen Insider– Kenntnissen. Die mehreren Tau send Abonnenten (genaue Angaben verweigert Czerwensky: „durch Kopiererei kommen wir auf 100.000 Leser“) würden sich das viele Geld und die Zeit sparen, wären sie nicht zumindest teilweise davon überzeugt. Dies gilt vor allem für den Bankenbereich, wo auch die Infos über Devisenschieflagen bei Großkonzernen zusammenlaufen. Alle überregionalen Tageszeitungen - gleich welcher Couleur - gehören zu den Abonennten. In der Tat: Aus dem Platow Brief konnte man einst zuallererst über den Skandal der Hessischen Landesbank (“Helaba–Affäre“) lesen, der dann den Kopf eines Ministerpräsidenten kostete. Czerwensky zählte zu den Bestinformierten, als sich die Konturen der Novelle des Kreditwesengesetzes abzeichneten, und wenn die Bundesbank, die von den Banken noch am heimlichsten tut, am Zinsniveau drehen will, sitzt Czerwensky unterm Tisch. Das bescheinigen auch Kollegen, die ihm ansonsten weniger wohl gesonnen sind. Konsequenz: Czerwensky konnte sich jahrelang eines Hausverbotes bei der Bundesbank rühmen. Wer Informationen verkauft, eckt eben an: Czerwensky– Vorgänger (1946–69) und Platow–Begründer Dr. Robert Platow wurde einmal gar in Beugehaft genommen, weil er seinen Informanten nicht preisgeben wollte. Bei Kalibern wie der Helaba oder auch VW könnten die Informanten in der Tat in Schwierigkeiten kommen. Ob sie selbst dabei immer originäres Interesse an der Veröffentlichung ihrer Geheimnisse haben, wird von den Kollegen der Wirtschaftspresse bisweilen angezweifelt. „Wir spucken nie Gelder für Informationen aus“, verteidigt sich denn auch Czerwensky ungefragt zu Beginn des Gespräches. An der Finanzkraft würde es dabei sicher nicht scheitern: Platow hat den Laden nicht seinem Nachfolger, sondern dem weltweit größten Medienkonzern Bertelsmann verkauft. Wenige Knüller Czerwensky stellt jedoch ein unverfänglicheres Erfolgsgeheimnis seiner Jagd nach neuen Informationen heraus: Seinen eigenen akkumulierten Wissensfundus: „Jeder, der mir etwas sagt, hofft, ein andermal von mir etwas gesteckt zu bekommen“ - weißte was, sag ich dir was. Verglichen mit seiner Erscheinungshäufig keit hat Platow über die Jahre sicher wenige solcher Knüller anzubieten gehabt wie die VW–Schieflage, gesteht Czerwensky selbst ein. Der Rest, wohl über 90 Prozent, ist in der Tat die zitierte „heiße Luft“. Da stellt Czerwensky auf dem vier DM teuren Doppelblatt einen Bundesbankbericht vor, der im Wirtschaftsteil jeder Zeitung behandelt wird; da macht er Personalempfehlungen für Großkonzerne (für ihn auf diesem Weg sicher billiger als über ein direktes Telefongespräch mit dem betreffenden Vorstand); da druckt er umfassend die Bundestagswahlergebnisse - und da verbreitet er ausführlich in schönster Gerhard–Löwenthal–Manier erzkonservative Parolen. Die Gewerkschaften (“zur IG Chemie habe ich die besten Kontakte“) sollten sich bei den Lohnforderungen zurückhalten, die Weltmarktkonkurrenz sei hart. Aufmüpfige Schuldnerländer sind für ihn vor allem chaotische Volkswirtschaften. Und „alle, die die wahren Zusammenhänge allen Wirtschaftens kennenlernen wollen“, sollen - so wird nebenbei empfohlen - „Der Kapitalismus“ von Paul C. Martin lesen, ausgerechnet das Werk jenes Welt am Sonntag– Schreiberlings, der Reagans Wiederaufleben des Kapitalismus feierte und jetzt sein Geld in der Schweiz mit 1.000–DM–Wochenendseminaren über den notwendigen Zusammenbruch des Finanzsystems verdient. Da hat die Seriosität ihre Grenzen. Sein politischer Standpunkt steht sicher auch Pate, wenn er mit dem Siemenskonzern, dem Lieblingskind seines politischen Leitbildes Franz–Josef Strauß, anders umspringt als mit VW: Da stellt er ausführlich dar, wie gut es dem Elektromulti gehe, obwohl er empfindliche Umsatzeinbußen erleidet. Die Siemens–Aktie wird eben in eine andere Richtung auf den Weg geschickt als die der Wolfsburger. Czerwensky macht hier auf Understatement: „Keinen Einfluß“ habe man aufs Börsengeschehen, man sei „doch kein Tipdienst“. Auf der Talfahrt der VW– Aktie war die Platow–Veröffentlichung im November allerdings eine Etappe. Platow ist eine Instanz, auch wenn der Spiegel ihn nur in der Rubrik „Hohlspiegel“ anführt und seine Schnitzer genüßlich für sich sprechen läßt: „Der sowjetische Aufmarsch gegen Warschau ist abgeschlossen ... Es droht ein gnadenloses Blutbad, an dessen Ende sogar eine neue Teilung Polens stehen mag. Die DDR als treuesten Vasall könnte Moskau durch die Rückgabe Schlesiens und Pommerns entlohnen“, versuchte sich Czerwensky 1980 auch mal als ostpolitischer Insider. Czerwensky, der für seine Dienste am deutschen Volk demnächst das Bundesverdienstkreuz erhalten soll, ist mittlerweile 67 Jahre alt, und sein Beruf gehört sicher nicht zu den gesundheitsschonendsten (“ich arbeite 80 Stunden, also für zwei“). Für einen Quasi–Einmann–Betrieb dieser Art daher das Hauptproblem: die Erbfolge. „Ein Nachfolger wird schon seit langem gesucht, der darf einfach nicht in Rente gehen“, weiß man am Frankfurter Bankenplatz. Vor langer Zeit wollte Czerwensky ausgerechnet den jetzigen Bonner Wirtschaftskorrespondenten der Frankfurter Runschau anheuern, aber der kann heute noch nicht einmal mehr drüber lachen.