piwik no script img

Liebeshändel unterwegsDie Liebe in Zeiten pauschaler Reisen

Die Russinnen kommen! Und führen schwarze Listen über glutäugige Beznesser.

Romantik unter Palmen? Die Beziehungen mit einem Hotelportier, einem Tuareg oder Kellner enden oft mit Enttäuschung. Bild: glemourevents/photocase

Auf dem Höhepunkt ihrer Blüte hat die russische Revolution viele Blumen hervorgebracht, vor allem viele blumige Sprüche: dass alle Arbeiter Brüder sind, Solidarität der höchste Wert ist, dass unser Schicksal in unseren Händen liegt, es unsere Pflicht ist, uns selbst zu ändern, und dass die Liebe allein die Welt rettet, sobald sie von den Zwängen der kapitalistischen Gesellschaft befreit wird. Es wurde nicht so sehr an den Kopf, sondern mehr ans Herz der Genossen appelliert. Heute scheint es, als wären unsere Gefühle eine vergängliche Requisite.

Als würde jedem von uns ein bestimmtes Maß an Solidarität und Liebe gewährt und manchmal reicht der Vorrat nicht für das ganze Leben. Die Liebe ist mit dem Sozialismus perdu gegangen, sie ist nur noch selten im Leben und in der Folklore zu finden, die Sehnsucht nach ihr ist umso größer geworden. Aus irgendeinem Grund können die Menschen einander nicht mehr leiden. Sie fahren ins Ausland, in der Hoffnung, dort vielleicht die Liebe zu treffen.

Die russischen Frauen fahren bevorzugt nach Ägypten, Tunesien und in die Türkei, sie lernen dort tatsächlich heiße Jungs kennen und werden regelmäßig in ihren Erwartungen enttäuscht. Im Internet kursieren zahlreiche Berichte von betrogenen Russinnen über ihre misslungenen Liebesaffären mit Männern. Für jedes Land wurde im Netz eine sogenannte Erkennungstafel angelegt, ein schwarzes Brett, auf dem die ägyptischen, türkischen, tunesischen und marokkanischen Liebhaber mit Foto, Namen und Arbeitsplatzadresse ausgestellt werden. Die dazugehörigen Geschichten lesen sich wie ein endloser herzzerbrechender Frauenroman. Der Grund, die eigene Geschichte niederzuschreiben, ist gut nachvollziehbar: um die anderen Frauen vor den Typen zu warnen. "Haltet euch von ihm fern, Schwestern", so endet fast jede zweite Geschichte. Doch hinter dem vernünftigen Grund versteckt sich eine unvernünftige, eigene Enttäuschung: Luft abzulassen über den Mangel an Liebe auf der Welt.

Beznesser

In seinem 1992 gedrehten Film "Bezness" (Business) setzte sich der tunesische Regisseur Nouri Bouzid kritisch mit der Prostitutionskarriere eines jungen Tunesiers auseinander. Der Begriff Beznesser, der mit der Liebe Geschäfte macht, hat sich durchgesetzt. Er ist zum Unwort für enttäuschte weibliche Gefühle im touristischen Liebeshandel geworden. Weltweit.

Die Männer, um die es geht, lassen sich, grob gesagt, in zwei Kategorien einteilen. Die meisten sind Gigolos, sie haben es auf das Geld der Frauen abgesehen. Sie arbeiten als Reiseführer, Barkeeper, Tanzlehrer oder, noch schlimmer, als Hotelunterhalter. Sie lernen Frauen "professionell" kennen, nach einer Methodik, die in jedem Buch übers Kennenlernen beschrieben wird. Sie dosieren das Interesse und die Gleichgültigkeit so lange miteinander, bis sie die Frau völlig desorientieren. Zuerst tun sie demonstrativ kalt, dann wollen sie sofort gemäß dem heimischen Brauch heiraten. Die Frau schmilzt dahin, der Gigolo klärt sie über sein Problem auf.

Zwar sind es verschiedene Jungs, doch alle scheinen die gleichen Probleme zu haben. Entweder ist der Vater todkrank und braucht dringend eine teure Niere, oder der Bruder hatte einen Autounfall und muss zahlen, oder ein Geschäft läuft krumm, auf jeden Fall wird Geld gebraucht. Die Frau muss für ihre Liebe zahlen. In der Regel beglücken die Gigolos drei bis vier Frauen gleichzeitig.

Die andere Kategorie sind Kavaliere, die nicht in erster Linie an Geld interessiert sind, sondern mit möglichst vielen Frauen vögeln wollen. Sie sehen in jedem Massentouristenhotel einen möglichen Harem. Diese Männer verstehen es sehr gut, einer Frau den Kopf zu verdrehen, sie werden allerdings als unglaublich narzisstisch beschrieben, erkundigen sich fünfmal am Tag, ob sie auch wirklich gut im Bett sind.

Die Russinnen mögen leichtgläubig sein, blöd sind sie nicht. Früher oder später finden sie heraus, dass ihr Liebster nicht nur bei ihnen übernachtet, sie kontaktieren einander, hängen das Foto des Mannes auf das schwarze Brett im Internet, es ist schon vorgekommen, dass Frauen, die auf den gleichen Leim gegangen sind, darüber anschließend zu besten Freundinnen werden. Trotzdem beschreiben die Frauen ihre misslungenen Liebschaften nicht bösartig. Es fallen Wörter wie "sehr sympathisch", "ein toller Tänzer", "großartiger Schauspieler", "geschmackvoll, humorvoll, bescheiden", als wären sie den Männern eigentlich gar nicht böse.

In Ägypten ist unter den Einheimischen der Aberglaube stark verbreitet, alle Russen sind wegen ihres ausufernden Alkoholkonsums impotent, deswegen würden sich die russischen Frauen so auf ihren Urlaub an fremden Gestaden mit fremden Männern freuen. Russische Männer sind aber überhaupt nicht impotent, ganz im Gegenteil. Sie sind bloß misstrauisch und zynisch geworden. Deswegen fliegen sie gerne im Urlaub nach Thailand.

Für Thailand brauchen die Russen kein Visum, und die Preise sind sogar niedriger als zu Hause, kein Wunder, dass Phuket und besonders Pattaya schon so gut wie russifiziert sind. Es erscheinen dort russischsprachige Zeitungen, es werden russischsprachige Transvestitenshows angeboten, und es gibt sogar eine russische Fabrik zur Produktion von Quark und Sahne.

Die Russen nennen Thailand mit Stolz ihre erste ausländische Kolonie. In Wirklichkeit ist das eine starke Übertreibung, es sind gerade mal zwei Städte teilkolonialisiert. Bei jeder Reise ist die Transvestitenshow mit im Preis inbegriffen, die Russen gehen mit Neugier dorthin, wer weiß, wo sich die Liebe versteckt.

Die meisten Shows gehen 24 Stunden nonstop, wobei die Zuschauer nur einmal Eintritt zahlen müssen. Das Programm besteht aus einer Reihe von Nummern, die sich wie im Zirkus abwechseln, mal kommen die Gymnastiker, dann die Jongleure, später die Clowns und die Athleten. Der einzige Unterschied zum üblichen Zirkus besteht darin, dass in der thailändischen Manege stets gevögelt wird. Wenn die Zuschauer merken, dass sie die Nummer schon gesehen haben, heißt es, sie haben die Show durch. Nun stehen sie vor der Wahl, den Zirkus zu verlassen oder weiter sitzen zu bleiben und sich auf ein zweites Mal zu freuen. Und weil die Russen nicht gerne aufstehen, bleiben sie in der Regel sitzen. Sie ziehen sich die Show mehrmals hintereinander rein.

Die Jungs trommeln entschlossen mit ihren männlichen Gliedern, sie spielen auf dem Klavier damit und sogar Billard. Nackte Mädchen springen vom Trapez direkt in die erste Reihe, freiwilligen Zuschauern werden die Augen verbunden, sie sollen die Artisten abtasten und raten, ob ein Mann oder eine Frau oder beides bei ihnen auf dem Schoß sitzt. Ein Magier zaubert sich die Geschlechtsteile weg und findet sie bei einem Zuschauer zwischen den Beinen wieder. Ein Mädchen schießt in der Dunkelheit leuchtende Pingpong-Bälle aus ihrem Hintern ins Publikum, sie werden mit Begeisterung aufgefangen. Jungs können eine große Flasche Coca-Cola mit ihren Penissen heben. Das ist im Großen und Ganzen alles.

Früher, erzählen die Alteingesessenen, haben sie noch mit der Vagina auf der Bühne Zigaretten geraucht. Jetzt habe aber die Antiraucher-Kampagne Thailand erreicht und die Nummer wurde aus dem Programm genommen.

Am meisten amüsieren sich bei diesen Shows die Chinesen, die Inder und die Pakistaner. Die Russen kommen oft mit ihren Frauen in die Show, sehen nachdenklich ernst aus, schauen sich alles genau an, applaudieren selten und wenn, dann nur bei eindeutiger Hetero-Erotik.

Ohne Liebe zu leben ist schwierig, aber mein Gott! Es geht trotzdem weiter, und nichts währt ewig auf Erden. Ob sie die Shows zu Hause dann nachzumachen versuchen, weiß ich allerdings nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!