■ Berlinalien
: Liebeserklärung an das Grand Hotel Esplanade

Der schönste Platz eine Liebschaft zu beginnen, ist das alte Grand Hotel Esplanade dicht neben der Ödnis Potsdamer Platz. Treten Sie ein in die vom Bombenhagel zerstörte, später zerstückelte und kaputtrenovierte Ruine, suchen Sie in diesem Torso die spiegelglänzende Empfangshalle und finden Sie dann den Weg in den „Roten Saal“. Ein hier nie und nimmer vermutetes Juwel liegt vor Ihnen.

Ein glanzvoller Raum mit Marmorsäulen an den rosa gestrichenen Wänden, goldener Stuck überall, geschwungene Spiegel bis unter die hohe rote Decke, ein Kamin der Belle-Époque-Zeit und knarrendem Parkett. Sie befinden sich im Kaisersaal, der so genannt wird, weil hier Wilhelm II seine Herrenabende zelebrierte. Jetzt findet sich in diesem Glanz ein vom „Globe Theatre“ betriebenes Restaurant. Auf den wenigen weißgedeckten Tischen brennen Kerzen, klassische Musik begleitet Ihr Têtê-à-têtê. Und Ihren Likör nehmen Sie zehn Meter weiter an der Bar, nur erreichbar über eine breite nach unten führende Parketttreppe, im ehemaligen Frühstücksraum des alten Grand Hotels. Neo-Rokoko an den gelben Wänden, wieder Spiegel, Kamin und ein geschwungenes Sprossenfenster vom Boden bis zur Decke. Diese beiden Räume sowie prächtige Toiletten plus der Palmengarten mit Art-déco-Fresken – jeden Freitag gibt es hier Tango – sind übriggeblieben von dem Prachtbau des Jahres 1907. Das Grandhotel war damals die bürgerliche Antwort auf das kaiserliche Stadtschloß, ein Ort der Lebedamen, der Spekulanten und des feinen Bürgertums. Hier war der Kaiser nur Gast, nicht mehr.

Aber bald ist Schluß mit dem dekadenten Prosecco-Gesäusel im geliehenen Charme der Jahrhundertwende. Der Elektronikmulti Sony wird hier ein Business- Hotel errichten. Weil aber der Grandhotelrest unter Denkmalschutz steht und Sony für das Versprechen, die Räume zu bewahren, vom Berliner Senat einen gewaltigen Preisnachlaß erhalten hat, wird der alte Glanz nicht weggeputzt, sondern aufpoliert in den Hotelneubau verpflanzt. Der Kaisersaal soll zerlegt, aus dem Gemäuer herausgeschnitten und 50 Meter weiter, als Solitär hinter der Glasfassade des Hotelneubaus neu errichtet werden. Ob dann vom denkmalgeschützten Innenraum noch was übrigbleibt, das ganze nicht zur Walt-Disney- Illusion verkommt, bleibt abzuwarten. Sicher hingegen ist, daß die Einheit Palmengarten, Frühstücksraum, Prachttreppe, Kaisersaal, Empfangshalle und Sanitärbereich zerissen, die Eleganz des Ensembles für immer und ewig zerstört wird.

Dort, wo Sie einst bei Kerzenschein antichambrierten, sitzen erfolgreiche Investoren mit Funktelefonen und tippen Zahlen in Notebooks. Die Bar, an der Sie Ihren Likör schlürften, ist zu einem Frühstücksbuffet für Hotelgäste ummodernisiert. Und die Prunktoiletten benutzen Staatsgäste in Sicherheitssuiten. Wir befinden uns im Jahre 2000, und Liebesgeschichten beginnen nur noch mit Kontaktanzeigen. Anita Kugler