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■ Lieber technologische Hinterwäldler als blinder Fortschrittsglaube? LeserInnen bleiben angesichts der „Misere auf dem Informations-technik-Arbeitsmarkt“ gelassenIntelligente Kühlschränke

betr.: „Bleistift statt Textverarbeitung“, „Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller über die Zukunft der Informationstechnik“, „Studie: Die Deutschen sind technikscheu“, taz vom 14. 3. 00

Ja, nun haben wir also den Anschluss ans EDV-Weltniveau total verpasst, verschlafen und verpatzt. Aber noch soll nicht alle Hoffnung dahin sein, schließlich gibt es bereits Kindergärten mit PC, und ein Techno-Verbands-Geschäftsführer namens Bojanowsky schwärmt schon „von Dreijährigen, die mit der Maus ihre Kinder-CD-Rom ansteuern“. Er hat die Zeichen der Zeit richtig erkannt.

Was wir jetzt noch dringend benötigen, ist ein Grundschul-Numerus-clausus, um diese Volltrottelkinder, die sich weigern, die Erfordernisse der Wirtschaft anzuerkennen, und stattdessen lieber mit Ball und Puppe spielen, als sich in ihrem fortgeschrittenen Alter endlich dem Ernst des Lebens zu stellen, bereits vor der Vergeudung von Steuermilliarden für unnütze Schulbildung wirkungsvoll aussortieren zu können. Die Kassen sind schließlich knapp, und wer will schon Kinder, die einfach Kinder sind statt EDV-Spezialisten?! DIRK ALBRODT, Wuppertal

Wir werden zu technologischen Hinterwäldlern. Diese bedrückende Tatsache stellen Fortschrittspropheten wie Karlheinz Steinmüller und Karl Hantzschmann im Artikel von Gunnar Mergner fest, der schonungslos bisher nicht für möglich gehaltene Defizite im Umgang mit moderner Technik aufdeckt: „Der Bundeskanzler schreibt ... offenbar noch mit dem Bleitstift.“ Schlimm genug! Leider lassen sich aber derartige Missstände nicht nur auf höchster Ebene feststellen, sie sind weit verbreitet. Auch an der Basis ist es nicht weit her mit der Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit: „Die Deutschen zieren sich wieder“, wenn es um die Umsetzung blühender Landschaften geht, diesmal im Bereich der Bio-Technik.

Zurecht fragt sich die in der taz zitierte Crème der Zukunftsforscher, wie man bei der „Biologisierung der Wirtschaft“ vorankommen soll, wenn man sich schon bei der Gentechnik ziert. Und stellt fest: „Da verpassen wir schon wieder den Anschluss.“

[...] Also mutig voran nun, damit wir nicht den Anschluss verpassen! Es muss endlich Schluss sein mit der Diffamierung der Gentechnik und der Zögerlichkeit bei der Genehmigung gentechnischer Zukunftsprojekte. In der Informationstechnologie ist der Druck immerhin schon „so groß geworden, dass sich die Deutschen ihre zögerliche Haltung nicht mehr leisten können.“ Also gilt es jetzt, die Defizite bei der Biologisierung der Wirtschaft zu verdeutlichen und bewusst zu machen, dass die Zögerlichkeit der Deutschen verkappte Fortschrittsfeindlichkeit ist. Auf diesem Wege ist der ehrliche und mutige Artikel von Gunnar Mergner ein Meilenstein! Er kontrastiert wohltuend zu der sonst auch in der taz zur Schau getragenen Fortschrittszögerlichkeit. [...]

HERBERT LEUPOLDT, Berlin

Das allgegenwärtige Gerede von intelligenten Kühlschränken (zuletzt in der heutigen taz auf Seite 4) ist ein schönes Beispiel für blinde Technikeuphorie.

Wenn ich wirklich wollte, daß mir jemand ständig ungefragt etwas kredenzt, was ich „immer schon gern mochte“, dann würde ich zu meinen Eltern ziehen. Automatisierung ist eine feine Sache, wenn es um echte Routineaufgaben geht, aber schon die Bewegungssensoren in Büros, denen man alle halbe Stunde zuwedeln muss, damit abends das Licht nicht ausgeht, stören eher.

Und der Zukunftsforscher Steinmüller sollte sich mal Zukunftsprognosen aus den 60er Jahren durchlesen: atombetriebene fliegende Autos! Elektrische Laufbänder auf allen Straßen! Automatische Küchen, die auf Lochkarten gespeicherte Rezepte selbständig kochen! Im Vergleich dazu hat sich nicht viel geändert, wir träumen immer noch von unbegrenzten Energieressourcen und völliger Befreiung von langweiliger Arbeit. Vielleicht klappt das wirklich in den nächsten 100 Jahren, aber solche Visionen im Brustton der Überzeugung als fundierte Prognosen zu äußern ist lächerlich.

JAN BRUNERS

Mit ungläubigem Staunen und wachsendem Ärger las ich Eure ganze Reportagenseite. Vergeblich wartete ich auf ein kritisches oder wenigstens nachdenkliches Wort zu Informations- oder gar Gentechnologie. [...]

TazlerInnen, wo ist denn die Gesellschaftsanalyse vom internationalen Monopolkapital, von der internationalen Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften und so weiter geblieben, dass hier jetzt praktisch Beifall geklatscht wird zu dem Ausbeutungsschachzug „Greencard“!? Sicher, das sind alles nur Zitate eines „Zukunftsforschers“ Steinmüller, des Uni-Fakultätentagsvorsitzenden Hantzschmann u. a. Aber weder selbst noch durch andere Zitate bietet Schreiber Gunnar Mergner ein Gegengewicht zu diesem industriefreundlichen Lamento. Nicht mal zum Schluss, als Hantzschmann die kritische Haltung der Deutschen zur Gentechnik beklagt! Da warte ich vergeblich auf die kritische Pointe dieser Seite. Aber – Zufall oder nicht – auf der gegenüberliegenden Seite finde ich eine Art Erkärung: Wie sagte er doch damals so richtig? „Das Sein bestimmt das Bewusstsein!“ taz-MitarbeiterInnen jammern oder freuen sich über Nichtzuteilung beziehungsweise Zuteilung von „infineon“-Aktien. Die Gewinnerin: „Kurz ein schlechtes Gewissen, schließlich profitiere ich gerade von einer Tochter der AKW-Firma Siemens. Aber das Geld kommt gelegen...“

Ist die von mir zum Kotzen empfundene Reportage Ausdruck vom Wandel der „täglich eine linke radikale tageszeitung“ zur wirtschaftsfreundlichen „Alternative-FAZ“ für die immer zahlreicher und skrupelloser werdenden grünen GeldanlegerInnen?

GEORG EISENBERG, Kaufungen

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