Lieber nicht darüber reden

30 Jahre nach der Havarie eines US-Atombombers über einem andalusischen Dorf möchten die Einwohner alles verdrängen. Den Behörden ist das recht  ■ Aus Palomares Antje Bauer

Palomares ist auf dem Straßenplan nicht eingezeichnet. Es gelte, von Almeria aus die Landstraße bis nach Vera zu nehmen und danach in Richtung Meer abzubiegen, heißt es, da liege der Ort. Die Kleinstadt Vera atmet noch die Enge der Provinz, das Verharren der Zeit. In der Ferne wird schon das Meer sichtbar, da zeigt ein kleiner Wegweiser nach links: Palomares.

Vor dreißig Jahren ging der Name dieses Dorfes um die Welt. Am 16. Januar 1966 wehte ein starker Wind, und in der Luft über Palomares stieß ein Tankflugzeug der US-Luftwaffe mit einem US-Bomber zusammen. Beide Flugzeuge gingen in Flammen auf und stürzten ab, die vier Atombomben, die der Bomber an Bord hatte, wurden ausgeklinkt. Eine Bombe stürzte ins Meer und blieb angeblich heil, eine weitere fiel unversehrt ins Bett des Flusses Almanzora, der an Palomares vorbeifließt. Bei den beiden letzten explodierte beim Aufprall die konventionelle Sprengladung TNT und legte den nuklearen Kern frei. Es bildete sich eine Nebelwolke aus Plutonium, Uran und Americium, die sich wegen des starken Windes schnell verteilte.

José Navarro Flores erinnert sich noch sehr gut an jenen Tag, obwohl er damals erst vier Jahre alt war. „Es fielen brennende Flugzeugteile vom Himmel, und ich hatte das Gefühl, ich verbrenne, so heiß war es“, berichtet er. „Mein Vater und mein Großvater hatten mich bei der Hand genommen und rannten mit mir weg. Alle liefen in Panik irgendwohin.“ Seine Familie blieb trotzdem im Dorf.

José heiratete und sitzt nun zufrieden in seinem kleinen Büro in der „Agrupa Almanzora“, einer Transportfirma, die das Gemüse, das hier angebaut wird, in Spanien und Nordeuropa vertreibt. Neben einigen Baufirmen ist Landwirtschaft damals wie heute die Haupteinnahmequelle des 2.000-Seelen- Dorfes. Navarro Flores befürchtet nicht ernstlich, radioaktiv belastet zu sein. „Ich mache mir keine Sorgen. Ansonsten würde ich nicht hierbleiben, sondern woanders hingehen.“

Der Dorfplatz von Palomares ist ein Quadrat mit einem schütteren Bäumchen irgendwo. Zwei alte Männer stehen in der Sonne und unterhalten sich. „1972 bin ich in Pension gegangen, also war ich damals 48 alt“, rechnet der eine. „Ich war bei der Guardia civil. An dem Tag war ich in einer Kaserne hier in der Nähe. Wir haben damals einen gewaltigen Lärm gehört. Und der Guardia, der Dienst tat, rief mich und fragte: Ist da ein Fest in Palomares? Bei Festen wird immer Feuerwerk abgebrannt. Ich bin raus und sah, wie brennende Sachen vom Himmel fielen. Am Morgen danach kam im Morgengrauen ein amerikanischer Helikopter. Da saß ein Amerikaner drin, der Spanisch sprach, der hieß Hauptmann Ramirez, und der kam mit ein paar Schwarzen, mit Technikern und mit Apparaten. Ich ging dahin, wo die Bombe war, und berührte sie mit dem Fuß. Und mir schien, daß danach mein Fuß kribbelte. Zwei Tage drauf haben die amerikanischen Techniker mich untersucht und haben aber nur im Stiefel und den Strümpfen was gefunden. Waschen Sie Ihre Strümpfe, haben sie gesagt. Die Techniker liefen alle vermummt herum, ich war ungeschützt.“

Während die Einwohner von Palomares sich nach dem ersten Schreck vorsichtig den abgestürzten brennenden Teilen näherten und sie zu löschen versuchten, da sie die Felder in Brand zu setzen drohten, und der eine oder andere ein Metallstückchen zum Andenken mit nach Hause nahm, füllte sich das Dorf mit Militärs: Aus den US-Einrichtungen in Spanien kamen sie und aus den USA, spanische Militärs trudelten ein sowie Verstärkung der Guardia civil. Nach einem Bericht des US Field Command spielten an manchen Stellen die Geigerzähler verrückt, an anderen gaben sie mehr als 32 Mikrocurie Strahlenbelastung an, das ist das Sechsfache des zulässigen Wertes. Da am Unglückstag starker Wind geherrscht hatte, räumte selbst der Bericht ein: „Das genaue Ausmaß der Verseuchung wird wohl nie bekannt werden.“

Die Bevölkerung wurde angehalten, die gesammelten Souvenirs wieder abzugeben, da diese verstrahlt seien – genauere Informationen über die Gefahr, die von den Bomben ausging, wurden unter Berufung auf die militärische Sicherheit nicht geliefert. Die US- Militärs fuhren mit Lastwagen Erdreich ab und transportierten es angeblich in die USA, wo es in einer Wüste verscharrt werden sollte. Im am stärksten betroffenen Bereich wurden fünf bis zehn Zentimeter Erdschicht abgetragen. Die Bevölkerung von Palomares half dabei tatkräftig mit – anders als die US-Soldaten trug sie dabei keine Schutzkleidung. Sechs Wochen darauf nahm Francos Innen- und Tourismusminister Manuel Fraga zusammen mit dem US-Botschafter Anthony Biddle im Meer vor Palomares ein öffentlichkeitswirksames Bad, um Gerüchten, die Gegend sei radioaktiv verseucht, zu begegnen.

Die Bevölkerung von Palomares nahm ihr gewohntes Tagewerk wieder auf. „Mir haben die Amerikaner 150.000 Peseten für die Tomaten gezahlt“, darüber amüsiert sich Marco Ponce Sabiote, der Gesprächspartner des Zivilgardisten auf dem Dorfplatz, noch heute. „Das war ein Haufen Geld. Und die Tomaten, die zu der Zeit noch nicht reif waren, habe ich später gepflückt und verkauft. 12.000 Peseten habe ich dafür bekommen. Zur Beunruhigung gab es keinen Grund. Ich habe damals nichts gespürt und spüre bis heute nichts, und ich bin schon 78. Wie soll ich wissen, ob da was ist oder nicht. Und mit der Zeit...“

Bei den ersten runden Jahreszahlen nach dem Unfall organisierten ein paar Aufmüpfige Demonstrationen, forderten genaue Untersuchungen und weitere Entschädigungen. Doch im Dorf selbst waren diese Aktivitäten nicht gern gesehen. José Navarro Flores in seiner Firma meint dazu: „Es ist am besten, das alles zu vergessen. Es bringt nichts. Die Leute, die weit weg von hier leben, glauben, hier sei die Hölle, die Leute hier seien krank. Und das stimmt nicht. Hier sterben die Leute wie überall sonst auch.“

Den verschiedenen Obrigkeiten konnte dieser Pragmatismus nur recht sein. Sie ließen in der Umgebung von Palomares Meßstationen einrichten, die angeblich immer niedrige Werte aufweisen. Und jedes Jahr werden 150 Einwohner des Dorfes nach Madrid gefahren, um sie dort medizinisch untersuchen zu lassen. Über diese Untersuchungen sind die Betroffenen unterschiedlicher Meinung. Die meisten meinen, die beruhigenden Ergebnisse seien vertrauenswürdig. Der Inhaber der „Bar Valero“ hat da Zweifel. „Sie sagen einem, ob man Zucker hat oder erkältet ist, aber nichts über Radioaktivität. Angeblich ist das nie etwas, aber ich glaube es nicht so recht.“

Nach Angaben des offiziellen „Zentrums für Energie-, Umwelt und Technologiestudien“ (Ciemat), das die Untersuchungen durchführt, liegt die Strahlenbelastung der Dorfbewohner im zugelassenen Rahmen. Pedro Martinez Pinilla, Arzt an der Medizinischen Fakultät der Universität Murcia, veröffentlichte jedoch vor eineinhalb Jahren eine Untersuchung, wonach in Palomares die Anzahl der Krebstoten im Vergleich zu einem nicht radioaktiv belasteten Nachbardorf ruckartig in die Höhe geschnellt sei. Eine offizielle Reaktion gab es darauf nicht.

Die 23jährige Antonia González, die im örtlichen Schreibwarengeschäft einem Jäger gerade Patronen verkauft, versichert, davon nichts gehört zu haben. „Hier soll die Krebsrate gestiegen sein? Das glaube ich nicht recht. Die Todesursachen hier sind normal. Es sterben vor allem alte Leute. Ich höre täglich, was im Dorf so besprochen wird, und so etwas ist nicht passiert.“

Alles in Butter also, hätten nicht 1991 Arbeiter des Ciemat in Madrid in einem Labor Proben gefunden, die mit Plutonium verseucht waren. Ciemat erklärte daraufhin, die Proben stammten aus den Bergen von Nijar, einer Region in 70 Kilometer Entfernung von Palomares. Das Plutonium sei erst im Labor zu Versuchszwecken hinzugefügt worden. In Nijar glaubte man das nicht. Seither wird vermutet, entweder sei ein Teil der strahlenbelasteten Erde in der entlegenen Region abgekippt und nicht in die USA geschafft worden – zumal einige der bereitgestellten Schiffe der US-Kriegsmarine eiligst nach Vietnam abgeordert worden seien. Zweite Möglichkeit: Der Wind habe das Plutonium bis dorthin getragen.

Miguel Yuste, Angestellter des Ciemat und Mitglied der anarchistischen Gewerkschaft CGT in Madrid, die den Fall bekanntgemacht hat, klagt: „Ciemat ist, was Verseuchung angeht, sehr wenig bis gar nicht vertrauenswürdig. Sie haben immer gelogen, wenn es darum ging, solche Dinge zuzugeben. Ich weiß, daß auch die Untersuchungen, die an den Dorfbewohnern vorgenommen werden, und die Nachweise von Radioaktivität überhaupt nicht vertrauenswürdig sind.“

Im Dorf selbst herrscht eitel Friede. Viele neuverputzte Fassaden und neue Häuser mit netten Vorgärtchen zeugen vom gewachsenen Wohlstand der Bevölkerung. „Seit das Bewässerungssystem eingerichtet worden ist, geht hier keiner mehr weg“, sagt der Wirt Valero. „Das ist nicht wie früher, als man sich fragte: Gehe ich nun nach Barcelona oder ins Ausland? Heute heiraten die, bauen sich ein Haus und bleiben hier.“

Und bekommen Kinder. Die spielen auf dem Pausenhof der neuerrichteten Schule, gleich neben José Navarros Transportfirma. Die Lehrer stehen im Kreis und unterhalten sich. Dolores Alegrias war schon Lehrerin in Palomares, als der Unfall geschah. „Ich bin zweimal nach Madrid gefahren“, sagt sie. „Die Resultate wurden hierhergeschickt. Mir haben sie immer gesagt, daß das gutverträgliche Dosen seien, daß das nichts Schädliches sei.“ Zum Jahrestag wird in ihrer Schule über den Unfall gesprochen – auch, weil sich Presse und Fernsehen dann immer an das Dorf erinnern. Doch den Rest des Jahres sind die Bomben weit weg. Für die meisten. Die, die sich daran erinnern, wollen lieber nicht darüber reden. „Ui, wie soll ich mich nicht daran erinnern?“ sagt eine alte Frau auf der Straße erschreckt. „Aber daran will ich lieber gar nicht denken, ui, oje!“ – dann setzt sie ihre Filzpantoffeln in Bewegung und verschwindet schnell in ihrer Haustür.