: Lieber die ehrlichen 60er
■ Werder verliert knapp und unglücklich 1:0 bei den Bayern / Wenn der Sieger ausgepfiffen und der Verlierer gefeiert wird – ein bißchen
Fieser konnte das Wetter kaum sein: Es herrschte Schneetreiben, als am Ostersamstag die Kicker vom SV Werder bei den Bayern antraten. Doch wer glaubte, schlimmer als der Wettersturz könnte es nicht mehr kommen, sah sich getäuscht. Schon nach 15 Sekunden stand es 1:0 für die Münchner, nachdem Zickler den Ball per Kopf ins Bremer Tor gewuchtet hatte. Das sind die Momente, in denen der Fußballfan vom rasanten Auftakt auf ein rasantes Spiel schließt. Und sich oft genug täuscht. Zum Beispiel am Ostersamstag.
Dabei bemühten sich zunächst wenigstens die Bayern um Konstruktives. In den ersten 20 Minuten heizten sie den Bremern mit schnellem direktem Spiel dermaßen ein, daß denen kaum mehr blieb, als in der Abwehr zu stehen. Grün-weiße Angriffe – Fehlanzeige. Zehn Werderaner hatten alle Füße voll zu tun, sich auf dem Grün zurechtzufinden, nur einer war von der ersten Sekunde an voll da: Oliver Reck. Der entwickelte sich mit reichlich Glanzparaden mehr und mehr zum besten Mann auf dem Platz.
Als dann gegen Mitte der ersten Halbzeit die Sonne durch die graue Wolkendecke bracht, stellte sich – Oh Bremer Wunder! – heraus, daß Werder eine Schön- und Bayern eine Schlechtwettermannschaft zu sein scheint. Plötzlich bekamen die Bremer das Spiel in den Griff, plötzlich vergaßen die Bayern-Fans aus der Südkurve, ihren lautstarken Pendants aus dem Norden zu widersprechen, und den bayerischen VIPs wurde trotz wärmender Sonne und scharlachroter Wärmedecken fröstelig. Die Bayern auf dem Rasen stellten mehr und mehr das Fußballspielen ein, die Bremer Defensivkräfte um Dieter Eilts (in Länderspielform) bekamen die Partie in den Griff. Da machte es gegen die mit Nationalspielern gespickte Bayern-Truppe kaum einen Unterschied, daß die Bremer mit vier Amateuren im Aufgebot angetreten waren.
Das wollte den Münchner Fans so gar nicht schmecken. Die schickten ihre Lieblinge mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabine, und als Trainer Trapattoni reagierte und Hamann für Basler und Jancker für Klinsmann brachte, gab es für den Nationalstürmer nur spöttischen Applaus – den der allerdings nicht zu hören schien. Eine Zuschauerin: „Der sitzt schon auf gepackten Koffern.“Genutzt haben die Auswechslungen allerdings nichts. Die Bayern hatten den Bremern kaum etwas entgegenzusetzen, bloß die trafen das Tor nicht. Labbadia, Frings und Unger vergaben leichtfertig die Chancen zum Ausgleich, und Oliver Kahn machte im Bayern-Tor seine Arbeit gewohnt ordentlich. So kam es zum absurden Schluß: Die Bayern wurden trotz des Sieges von ihren Fans lautstark ausgepfiffen und flohen schnell vom Spielfeld, und die Bremer durften sich trotz der Niederlage ein klein wenig feiern lassen. Die Punkte sind so oder so weg. Werder-Vize Klaus-Dieter Fischer: „Da war mehr drin.“
Hoffnungsvolles gab's hernach von Werder-Trainer Dixie Dörner: „Die Mannschaft hat gezeigt, daß sie Fußball spielen kann.“Weniger Optimistisches dagegen von Giovanni Trapattoni: „Die Mannschaft verliert manchmal das Selbstvertrauen.“Der definitive Kommentar kam von einem Münchner Taxifahrer: „Da sind mir die 60er mit ihrem ehrlichen Fußball lieber.“
Hubert Bakker Spieler beim Bunten Sturm
Bremen e.V. und Mannschafts-
arzt der Werder-Amateure
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