: Liebe nach Ladenschluss
■ Rührend, aber nicht aufgesetzt: Peter Turrinis „Josef und Maria“ im Altonaer Theater bringt zur Weihnachtszeit einsame Herzen auf zweisame Betriebstemperaturen
Ein Schokoweihnachtsmann, ein kleiner Lebkuchen und vier Kerzen stecken in der Papiertüte. Statt eines Programmheftes liegt sie auf jedem Sitz bereit. Wie aufmerksam, wie freundlich, wie originell! Genauso ist auch die von Karl Heinz Fliege als deutsche Erstaufführung inszenierte Neufassung von Peter Turrinis Einakter Josef und Maria auf der Foyerbühne des Altonaer Theaters geraten – mit gewissen Abstrichen, was das Originelle anbelangt. Vor allem was fürs Herz ist dieses Zweipersonenstück, bei dem an Heiligabend, dem Fest der Liebe, zwei einsame Seelen in einem Kaufhaus nach Ladenschluss aufeinander treffen.
Anfangs denkt man noch genervt: Ist ja so aufregend wie Reality-TV im Schlaflabor. Stunden scheint es zu dauern, bis die Frau aus ihrem eleganten Pelzmantel schlüpft und sich in eine Putzfrau mit Kittelschürze und Witwe-Bolte-Kopftuch verwandelt. Quälend langsam holt sie Schrubber und Putzmittel aus dem Schrank und legt verschiedene Lappen bereit. Dann noch ein Schlückchen aus der Kognakflasche. Bis endlich Herr Josef, der Wachmann, auftaucht. Jetzt kommt Leben in den Abstellraum – wenn die beiden einsamen Herzen auch erst einmal gehörig aneinander vorbeireden. Er erzählt von seiner großen Liebe, dem Sozialismus, sie von ihrer großen Liebe: Sohn Willi. Beide sind maßlos enttäuscht. Heute, so sagt er, lacht man nicht mal mehr über Sozialisten. Heute, so sagt sie, hat mich mein Sohn zum Weihnachtsfest ausgeladen.
Erst allmählich schlüpfen die beiden Alten aus ihrem Kokon und hören dem anderen wirklich zu. Als aufrechter, mit unbewegtem Gesicht Parolen plappernder Sozialist versprüht Edgar Bessen zunächst so viel Spannung wie ein Krippenspiel. Schwung kommt erst in Bessens Glieder, wenn er als feuriger Rudolfo Valentino mit Glutaugen, pomadisiertem Haar und Frack übers Parkett schwebt. Da glaubt man ihm gerne latente Verführungskünste, bei denen auch „Frau Maria“ schwach wird.
Dass nichts aufgesetzt wirkt, dafür sorgt vor allem Hannelore Droege. Sie beherrscht den schmalen Grat zwischen Verzweiflung und Lebenslust: mal zart und traurig, dann wieder ein Energiebündel. Zum Schluss kitzeln sie sich und sagen ganz zärtlich „Josef“ und „Maria“ zueinander. Da spielt es auch keine Rolle, dass er als Liebhaber nur noch „partiell“ funktioniert. Und wir wollen rufen: Gebt dieser Liebe eine Chance. Karin Liebe
heute + morgen, 20 Uhr; Sa, 20. Nov., 15. 30 + 20 Uhr; bis 26. Dez.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen