Lidokino: Mehr Frauen, mehr Hubschrauber
■ Wiseman und Lelouch beweisen mühelos den Wert der französischen Komödie
Französische Komödien, die Männer und Frauen enthalten, haben oft alle Hände mit der Vergangenheitsbewältigung zu tun. Marivaux, Racine – das ist der Maßstab, und die Worte müssen nur so glöckeln. Frederick Wiseman, Veteran des amerikanischen Dokumentarfilms, hat in den sechziger Jahren mit „Titticut Follies“ angefangen und dann das ganze Foucault-Programm, Mahnen, Überwachen, Strafen usw., durchgezogen: Seine Filme heißen „Jugendgericht“, „Manöver“, „Recht und Ordnung“, aber auch „Fleisch“, „Dem Tod nah“, oder „Central Park“.
Er scheint sich jetzt ein bißchen mit der Welt ausgesöhnt zu haben und hat einen 225minütigen Film mit dem Titel „La Comédie Française ou l'amour joué“ an eben jenem Theater in Paris gedreht. Mit seinem anthropologischen Blick hat er entdeckt, daß es bestimmte Routinen des Komischen gibt, die im Laufe der Jahrhunderte zu Riten gerinnen: Im Dunkeln tappen, poussieren, als Liebhaber ängstlich unter dem Bett liegen, weil der Gehörnte frühzeitig nach Hause gekommen ist, und dann aber von dort aus für das Publikum mit Grimassen die Ereignisse kommentieren. So etwas kann niemand erfinden; alle müssen sich über die Gesten einig sein, und sie müssen immer in ganzen Ketten kommen; als einzelne hätten sie keinen Sinn.
Wiseman zeigt, was beim Kartenvorverkauf geschieht: wie eine Frau, die ständig ins Spiel bringt, daß sie im Rathaus arbeitet, immer ruft „mais, c'est une catastrophe!“, wenn ihr die Verkäuferin sagt, daß sie nur vier Karten an eine Person verkauft. Oder eine Probe mit einem Schauspieler, der sich offenbar als Volkes Stimme geriert und sich weigert, die Komplexität eines bestimmten Satzes so rüberzubringen, wie es sein Regisseur gern hätte. Man sieht die Maske, man sieht riesige Gipsfiguren in der Requisite, die vergoldet werden und prompt enorm wertvoll funkeln und schließlich eine köstliche Szene aus einem Marivaux-Stück: Ein heimliches Liebespaar, das keins sein darf, erwacht am Morgen nach einer durchzechten Nacht nebeneinander im Bett und erschrickt: Haben wir, oder haben wir nicht? In endlosen eleganten Pirouetten wird die Frage hin und her gewendet, das Gespräch macht sie mal zu Verschwörern, zu Kokotten, mal zu Geschwistern und immer wieder zu Liebenden – stellen Sie sich die Szene mal mit Maria Schrader und Til Schweiger in einem Film von Dany Levy vor.
Im Wettbewerb dann Claude Lelouchs „Homme, femmes: mode d'emploi“ (Männer, Frauen: Gebrauchsanweisung), an dem man gleich studieren konnte, wie die Franzosen heute ihre komödiantische Vergangenheit bewältigen. Erster Coup: Lelouch hat für eine der beiden Hauptrollen den wegen Steuerhinterziehung und anderen Unregelmäßigkeiten inkarzerierten sozialistischen Exminister Bernard Tapie vor die Kamera gebeten. Er spielt, wie Sie sich denken können, einen nicht ganz astreinen Politiker, der den Hals nicht voll kriegen kann und immer mehr Frauen, Hubschrauber und große Auftritte braucht – und wer möchte das nicht? (In Amerika lebt ein Roman wie „Primary Colors“ davon, daß man einem Präsidenten sowas als Charakterschwäche auslegt!) Ihm gegenüber ein Losertyp, der Polizist ist und eigentlich Regisseur werden möchte. Die beiden führt der Verdacht auf ein Magengeschwür zusammen. Es kommt zu allerhand Verwicklungen, die ich Ihnen hier beim besten Willen nicht entschlüsseln könnte, denn selbstverständlich haben auch die Frauen ihre gefährlichen Absichten (Anouk Aimée schleicht als bezaubernde Witwe auf dem teuersten Friedhof herum, weil dort immer die leckersten und solventesten Witwer auftauchen).
Es wird hier nicht gekreischt oder gejault oder mit unschönen Fäkalien geworfen wie anderswo üblich, sondern fast im Flüsterton räsonnierend (Aufklärung!), werden einem die unglaublichsten Unsinnigkeiten mitgeteilt. Weil alle gut aussehen und sympa, très sympa, sind, möchte man ihnen alles glauben, auch daß sie im Hubschrauber nach Lourdes fliegen wegen ihrer Magenprobleme.
Apropos Santa Maria: Sexueller Mißbrauch ist als Thema auch in Neapel präsent, wo Antonio Capuanos „Pianese Nunzio, demnächst 14 Jahre“ spielt. Man hört dem Titel schon an, was dann kommt: Der kleine Nunzio wird Meßdiener, der Pfarrer, ein netter, unbeugsamer Anti-Camorra- Mann, verführt ihn, wozu er stets eine kleine Mozartmusik auflegt. Als Sozialarbeiter verkleidete Polizisten stellen ihm nach, die Madonna blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum, wobei ihr wohl auch schon mal eine Träne herabläuft. Chöre müssen schon sehr schluchzen und auch regnen tut es oft. Mariam Niroumand
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