Lidokino: Mehr Louis-Vuitton-Köfferchen
■ Der Kino-Troß hält Einzug bei den 55. Filmfestspielen von Venedig. Erste Abschweifungen
Die Deutschen, wir haben es überall gelesen, sind wieder in Venedig. Tom Tykwer, dessen „Lola rennt“ schon am Eröffnungswochenende seine Produktionskosten eingespielt hat, soll mit seinem „philosophischen Actionfilm“ für Deutschland, ja eben, die Action machen. Denn Doris Dörries „Bin ich schön?“ beschließt zwar das Festival, aber außer Konkurrenz. Und wer ist noch da, außer Deutschland? Sie hätten es nicht geahnt, aber es ist der Herr, der bei der diesjährigen Filmpreisverleihung Tom Tykwer so großzügig seinen Regiepreis überließ: Wim Wenders. In der Sektion „Prospettive“ stellt er einen ersten Ausschnitt aus seinem Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“ über den Musiker Ry Cooder vor.
Eröffnet werden die 55. Filmfestspiele mit Steven Spielbergs „Saving Private Ryan“. Über diesen Film haben Sie ja erst gestern gelesen. Allerdings nicht, daß Hauptdarsteller und Regisseur mit einem Troß von rund 80 Leuten angereist sind. Was sich da an Louis-Vuitton-Täschchen am Flughafen gestaut hat...
Auch Robert De Niro und Warren Beatty wollen sich mit jeweils bis zu 40 Begleitpersonen umgeben. Kein Wunder, daß die Kapazitäten der venezianischen Luxushotels erschöpft sind und Festivaldirektor Felice Laudadio ein Schiff kapern mußte, um die Leute unterzubringen. Teils ist der Engpaß auch durch die angereiste Industrie verursacht. Venedig hat nun ebenfalls, wie Cannes und Berlin, einen Handelsteil, der „Venice Script and Film Market“ heißt.
Ferner sind Proteste der italienischen Synchronsprecher angekündigt, die vor zwei Wochen in einen unbefristeten Streik traten. Durch die Revolte der rund 300 Stimmen werden sich jetzt die Starts der US-Filme in den italienischen Kinos verzögern. Das könnte – um etwas abzuschweifen und auf ein Land zu sprechen kommen, das bei der jetzigen „Mostra internazionale d árte cinematografica“ nicht vertreten ist, obwohl doch einmal große Filme und große Regisseure von dort herkamen – in Polen nicht passieren. Dort gibt es noch immer eine alte Tradition aus kommunistischen Zeiten, von der die Leute partout nicht lassen wollen, wie Marktuntersuchungen feststellen: den Filmerzähler, der mit äußerst diskreter, fast schon monotoner Stimme sämtliche Dialoge übersetzt.
Eine Handvoll Männer teilen sich diesen Job, und weil man dann unter Umständen einen ganzen Abend lang die gleiche Stimme hört, sagt der Fernsehkritiker Tomas Raczek, habe er den Eindruck, immer wieder den gleichen Film zu sehen, egal, ob es sich um Bergman, Spielberg oder eine brasilianische Telenova handelt. Und manchmal habe er für einen Moment das Gefühl, jetzt sei er völlig übergeschnappt. Eine Geschichte, über die noch einiges zu berichten wäre, aber Abschweifungen heißen nun mal so, weil sie tatsächlich nur das sind.
In Venedig wird man also keineswegs die gleichen Filme sehen, in Originalversion mit italienischen Untertiteln: Im Wettbewerb sind Emir Kusturica mit „Black Cat, White Cat“, die nächste, allerdings offenbar wirklich bitterböse amerikanische Politsatire „Bulworth“ von Warren Beatty, Eric Rohmers letztes Kapitel seines flimischen „Vier Jahreszeiten“-Quartetts, „An Autumn Tale“. Gianni Amelio („Lamerica“) zeigt „The Way They Laughed“. Außer Konkurrenz bewegen sich die Brüder Taviani, Claude Lelouch und Woody Allen mit „Celebrity“. Von der Art, ach, die vielen Louis-Vuitton- Köfferchen, sollen heute gleich dreißig Prozent mehr da sein, um den Eindruck der Mittelmäßigkeit zu kaschieren, der sich letztes Jahr eingestellt hatte. Wir werden darauf das ein oder andere Mal sicher noch zu sprechen kommen. Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen