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Lichterketten zu Telefonketten

In der täglichen akuten Bedrohung hilft es unseren ausländischen Mitmenschen herzlich wenig zu wissen, daß Hunderttausende gegen Fremdenhaß und -hatz mit rührseligem Kerzenhalten Solidarität bekunden.

Abgesehen davon, daß das deutsche Volk mal wieder reichlich spät aufwacht (zu spät, um für den Erhalt des uneingeschränkten Asylrechts zu demonstrieren, zu spät für zu viele Opfer des neuen, alten Faschismus), halte ich nun allmählich die Massenkundgebungen für heuchlerisch, wenn nicht endlich auch effektivere Aktivitäten gegen Nazis und Neonazis folgen, deshalb beispielsweise: Telefonketten statt Lichterketten. Wer sich auf unsere Politiker verläßt, ist verlassen. Brigitte Breidenbach, Aachen

[...] Ich hatte/habe genug von den erhebenden feierlichen Gefühlen, und wenn Herr Wontorra, damals Sportredakteur bei RB, bei einem Sportsieg der Deutschen sagt, daß das ein innerer Reichsparteitag für ihn ist, so muß vielen Menschen meiner Generation das große Kotzen kommen und auch dann, wenn so ein liebes Muttchen meiner Generation (1923), sicherlich eine „alte Kameradin“, sagt, während sie ihr Kerzlein hält, daß sie noch nie auf einer Demonstration war (um Gottes Willen glauben Sie doch so was nicht!), aber heute, ja heute mußte sie dabei sein und hat es nicht bereut und es sei erhebend – dann kommen mir die Tränen, vor soviel Verfassungslosigkeit.

Ich weiß heute noch, wie erhebend der Anblick war, als dem „Führer“ ein Fackelzug bereitet wurde (auch aus Freude, weil er nun endlich die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen hatte). Die ganze Lichtersymbolik war verbunden mit der „reinigenden Kraft des Feuers“ – auch der Verbrennungsöfen – vergeßt das nie. Nie wieder möchte ich solche erhebenden Gefühle haben. So erhebend, wie damals, als mein Verstand in Gläubigkeit ersoffen wurde – ich ihn ersaufen ließ.

Und jetzt? Während alle so stolz auf die geläuterte deutsche Seele sind und alle Kirchenglocken läuten – zur selben Zeit fordert Herr Seiters an der Oder-Neiße-Linie den Einsatz der Bundeswehr – auch der vielleicht schon entlassenen Soldaten – frei und willig – besonders willig – um dort eine Mauer zu errichten – nicht mit Steinen, sondern aus Stahlhelmen. Die Helme braucht man nicht einmal blau anzumalen.

Um Freiwillige braucht sich Herr Seiters sicher keine Sorgen zu machen – versoffene deutsche Recken gibt es genug. Und damit gibt man der deutschen randalierenden arbeitslosen Jugend wieder eine Perspektive. Sie alle da oben – glauben Sie ja nicht, daß Sie noch in der Gnade der späten Geburt stehen. Ernestine Zielke, Bremen

Einige Kommentare in der taz zu den Lichterketten in Hamburg und München – ich denke an die von Viola Roggenkamp und Thomas Groß – finde ich unglaublich sektiererisch, arrogant, negativ und kenntnislos, was konkrete Menschen betrifft, die an diesen Lichterketten teilnahmen. Peinlich, daß Christian Semler auf Seite 3 der taz erklären muß, wieso die Lichterketten gut waren. Genau das, was Semler schreibt, sagte mir bei uns eine Erzieherin, die an der Lichterkette teilnahm und damit zum ersten Mal auf der Straße ihre Empörung demonstrierte: „Bestimmt hilft nicht jeder, der da stand, einem angegriffenen Ausländer in der U-Bahn, aber ich traue mich nach dieser Demo eher zu helfen und hoffe das auch von anderen.“

Mich empört eine Alles-oder- nichts-Haltung, die sich nicht daran freuen oder wohl auch nicht begreifen kann, daß es Hunderttausende bei uns gibt, die schon sehr lange bestürzt sind über die ausländerfeindlichen Attacken, die nicht wissen, wie sie dieser Empörung Ausdruck geben können, und die in den Lichterketten eine angemessene Ausdrucksform gefunden haben. A.Engelien, Hamburg

Brav folgten auch in Bremen zirka 100.000 Menschen dem Aufruf, sich an einer Lichterkette zu beteiligen, um Solidarität mit ihren ausländischen Mitmenschen zu zeigen. Alles war so schön, so feierlich.

Nach kurzer Zeit erweckte es jedoch den Anschein, daß Mensch gar nicht so recht begriff, worum es eigentlich geht. Mensch stand da, unterhielt sich über die bereits getätigten bzw. noch zu erledigenden Weihnachtseinkäufe. Brav das Kerzchen in der Hand haltend. [...] Die persönliche gedankliche Auseinandersetzung jedoch mit der in der letzten Zeit besonders stark aufgekommenen Fremdenfeindlichkeit fehlte. [...] Michael Bahlo, Bremen

[...] Nichts gegen eine Massenveranstaltung. Und überhaupt ein großes Dankeschön, all denjenigen, die sich bei Angriffen schützend vor die Ausländer stellten. Aber wenn wir die Mengen vergleichen, müssen wir feststellen, daß sie in keinem Verhältnis zu einander stehen. Und erst wenn das der Fall ist, könnt ihr sagen: „Die Mehrheit der Deutschen verurteilt Rassismus.“ Songün Y., Bremen

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