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■ SchnittplatzLichtblick Bahn

Die Bahnreform hat ihr erstes Opfer gefordert: Ausgerechnet der Blickpunkt Bahn, die Zeitung von Bundes- und Reichsbahn, ist am 1.1.94 unter „rollendes Material“ geraten.

Das Monatsblatt im taz-Format lag kostenlos an allen größeren Bahnhöfen aus. Und jeden Monat war der Blickpunkt der einzige Lichtblick bei der Zuglektüre. Da zeigte uns der findige Layouter mal den ICE vorm Kölner Dom, mal zwei lächelnde Tramperinnen am ICE- Bahnsteig oder zwei sich küssende ICEs (aneinandergekuppelte „Triebköpfe“ der zukünftigen Generation). Im Juli kam es gar zur Verschiffung eines ICE nach Amerika.

Natürlich zierte fast jede Ausgabe mindestens ein Bild von Bahnchef Heinz Dürr, gerne mit Eisenbahnermütze und -kelle, manchmal in Begleitung eines gewissen Herrn Krause. Und auch Dieter Thomas Heck, „der ewig junge alte Hase des deutschen Showgeschäfts“, ist, seit er eine Bahncard-First besitzt, ständiger Gast der Bahn (im Bild mit Handy und Frau Ragnhild im Konferenzabteil).

Oftmals sechzehn Seiten ausschließlich über „Alpen-Pendolinos“, den „Glacier-Express“ oder die neuesten Hochgeschwindigkeitspisten, ließen den Reisenden vergessen, daß er mit viel Kritik in den Zug gestiegen war. Waren die Preise nicht zu hoch, die Anschlüsse nicht immer noch schlecht, und wieso hält der IC nach Hamburg nicht immer in Wittenberge? Klar, „der Wettbewerb ist härter geworden“, wußte der Blickpunkt, aber immerhin gibt es „Hoffnung für den LKW-Kombiverkehr“. Und durch die Neigezüge VT 610 kommt es am 23. Mai dieses Jahres zum „Qualitätssprung im Schienenverkehr in Ostbayern“: alle zwei Stunden nach Hof, alle vier Stunden nach Furth im Wald. Ist das etwa nichts?

Der abrupte Tod dieses Traditionsorgans der Eisenbahner – die erste Ausgabe erschien im Februar 1958 als Rad und Schiene – trifft uns Bahncard-Besitzer hart: In einem Kurznachruf kündigt die Redaktion den zahlreichen Abonnenten an, zukünftig ganz im Stil der neuen Bahn AG eine „Dachpublikation für Meinungsbildner“ herausgeben zu wollen. Was soll ich in Zukunft bloß im Zug lesen?Andreas Becker

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