Licht der Welt etc.: Immer an großen Gewässern gewohnt
■ Dan Flavin, Meister der Neonröhren, hat sich davongemacht
Die Kunst von Dan Flavin war in ihren Mitteln immer zu durchschauen und in ihren Folgen manchmal unbegreiflich: Neonröhren, weiß oder farbig, in monochromen oder polychromen Kombinationen – die leergeräumten Museumsräume waren in Traumhöhlen verwandelt.
Er machte Ecken und Bodenleisten riesig und vor allem rund, er erzeugte über die Spiegelung im Boden einen Sinn von Abgrund, und ihm gelang es, jeder Position im Raum ein Gefühl von Aktivität zu geben – das Ganze manchmal nicht weit von Halluzination.
Flavin war sich der Kraft und Geschwindigkeit seiner Arbeit bewußt: „Ich beabsichtige ein schnelles Verstehen – Kurz-mal- reinschauen-Situationen.“ Bevor er mit 63 Jahren starb, wurde an der Fassade des Hamburger Bahnhofs in Berlin (nach seinem Entwurf, aber in seiner Abwesenheit) eine gewaltige, blau leuchtende Installation angebracht, konterkariert durch grün fluoreszierende Höhlen im Gebäude. Wenn alle anderen Werke schlafen, wacht der Flavin erst richtig auf. In den ersten Jahren seines Erfolgs notierte er: „Ich erblickte das Licht der Welt (schreiend) als zweieiiger Zwilling, vierundzwanzig Minuten vor meinem Bruder David im Mary Immaculate Hospital, Jamaica, New York, um ungefähr sieben Uhr morgens an einem regnerischen Samstag, dem 1. April 1933, als Sohn eines asketischen, wenig männlichen irisch- katholischen Drückebergeroffiziers, dessen Junior ich bin, und eines dummen, dickfleischigen Tyranns von Frau, einem Abkömmling aus dem bayrischen Königshaus ohne jede Spur von Vornehmheit.“
Verglichen mit zum Beispiel Daniel Buren, dessen Streifenkunst ganz erheiternd ist, aber eben auch nervt, oder mit Donald Judd, dessen minimalistische Parzellierungen klug sind aber auch doktrinär, brachte es Dan Flavin mit seinen Neonleuchten zu einer angenehmen Allgegenwart. Er bestand darauf, nicht als Bildhauer bezeichnet zu werden („Ich bearbeite und gestalte keine dreidimensionalen ruhenden Werke“) und bestritt gelegentlich, überhaupt Werke hervorzubringen. Er nannte seine Installationen „proposals“. Tatsächlich nahmen sie ein Stück weit die Konzeptkunst vorweg, indem man ihnen das Nurgedachte irgendwie ansah; andererseits waren sie – die doofen Leuchten mit ihren Halterungen und Kabeln – von banaler Stofflichkeit. Egal, wie geschrumpft das Objekt oder komplex die Anlage: Das Materielle und das Immaterielle wirkten immer unzulässig miteinander verschraubt. Neon, kurz vor der Jahrhundertwende entdeckt, ist ein zentrales Mittel kommerzieller Architektur geworden, aber an der Sozialgeschichte dieses Lichts hat Flavin kein Interesse gehabt. Auch nicht an dessen sentimentalem Effekt. Typisch für seine Generation, begann er mit gegenstandloser Malerei, und seine ersten Arbeiten mit Lichtquellen waren dann von Glühbirnen gekränzte Stoffelder.
Experimente mit den übermannshohen Industrieleuchten führten ihn zu seinem „Bild-Objekt“. Die Entdeckung war, daß das „Raumvolumen soviel umfassender ist als der räumliche Kasten“. Ähnlich wie Richard Serra, der mit seinem gebogenen Stahl gewaltige Volumen definiert – und zwar die abwesenden –, baute Flavin mit seinen Leuchten an einem Baukasten von Möglichkeiten, der sich in seiner Lebenszeit nicht erschöpft hat. „Ich habe immer an großen Gewässern gewohnt“, notierte er vor dreißig Jahren in einer „autobiographischen Skizze“.
Es ist seiner Generation zugefallen, den Museumsbetrieb auf den Kopf zu stellen, bis die Museen begannen, sich als Herzkammer einer gesellschaftlichen Umwälzung zu begreifen. Flavin hat die Architektur des Museums ausgedeutet, halb l'art pour l'art, halb Kunst am Bau. Die Möglichkeit des Eingriffs ohne jede Spur von ideologischem Bombast war ihm recht, der Dekorationsverdacht willkommen: Die Arbeiten, stellte er anfangs fest, „sehen nicht nach Geschichte aus“. Dreißig Jahre später ist seine Arbeit selbst Geschichte. Dan Flavin ist dabei ein Nomade geblieben: Jemand, den jeder kennt, aber wer kann sich so genau erinnern? In der Woche seines Todes ist in Fachbuchhandlungen nicht ein einziger Katalog über ihn greifbar – und warum auch. Es ist gut möglich, daß es nie eine Retrospektive geben wird. Denn das wäre ein Schloß, das aus allen Räumen besteht, in denen Flavin jemals das Licht angemacht hat. Ulf Erdmann Ziegler
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