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Libysche Rebellen und IslamismusAl-Qaida interessiert keinen

Übergelaufene Soldaten, Ex-Sträflinge, normale Bürger. Sie alle machen bei den Rebellen mit. Und auch die Islamisten dürfen gegen Gaddafi mitkämpfen. Mehr nicht.

Bengasi: Eine Frau mit einer AK-47 wirbt um Solidarität mit dem belagerten Misurata. Bild: Christian Kreutzer

DERNA/BENGASI taz | Irgendwo im Sandsturm wartet der Feind. Mit sieben Mann und zwei Pick-ups prescht Hauptmann Abdessalam in Richtung Brega. Sein Vorgesetzter befürchtet, dass sich Gaddafis Brigaden, die Kataib, hinter die vorderen Linien der Rebellen schleichen könnten. Abdessalam soll die Gegend auskundschaften.

"Oh boy", knurrt der 30-Jährige und spült den Sand in seinem Mund mit warmen Wasser hinunter. Der Gibli, ein glühend heißer Wüstenwind, hat die Körner zu einem dichten Nebel aufgewirbelt. Wären die Kataib da draußen, würde man vermutlich direkt in sie hineinrasen. Dann tauchen plötzlich Bewaffnete in den Dünen auf und versperren die Straße. Mit quietschenden Reifen kommt die Patrouille zum Stehen. Die anderen sind auch Rebellen. "Fahrt nicht weiter", ruft ein Major in Badelatschen durch den Sturm. "Da draußen sind keine mehr von uns."

Die meisten, die hier ausharren, haben sich vor dem Sandsturm hinter die letzte Verteidigungslinie zurückgezogen. Die ist rustikal, aber ordentlich: Links und rechts der Straße haben Bulldozer einen kilometerlangen Wall aus Sand aufgeschüttet. Entlang dieser Verschanzung warten Toyota-Pick-ups. Ihre aufmontierten Flak-MGs, Raketenwerfer und Helikoptergeschütze blicken Richtung Brega.

Abdessalam wendet und rast zurück in seine Kaserne nach Adschdabija. Dort warten weitere Frontkämpfer im Alter zwischen 15 bis 50 bei Tee, Joints und Süßigkeiten auf ihren Einsatz. An den Wänden hängen Bilder von Bob Marley und – wie überall im Rebellengebiet – von Che Guevara. Aus einem Kassettenrekorder dröhnt arabischer Rai im Reggae-Rhythmus.

Vorbild Che Guevara

Die meisten hier sind keine Berufssoldaten, wie Abdessalam, der sich den Aufständischen gleich in den ersten Tagen mit seiner ganzen Kompanie angeschlossen hat. Da gibt es Muftah, 27, der, als die Unruhen ausbrachen, im Knast saß – wegen Drogenhandels. Damals verteilten die Wärter Waffen, erzählt er, und ließen alle frei mit den Worten: "Erschießt ein paar Rebellen." Stattdessen haben sich Muftah und die anderen schnurstracks den Rebellen angeschlossen. Andere sind Schüler, Handwerker oder Studenten.

Auf die Frage, ob sich in ihren Reihen ehemalige Al-Qaida-Leute befinden, schauen sich die Jungs und Männer ungläubig an. "Sieht das hier für dich so aus?", fragt einer. "Das ist doch nur Gaddafi-Quatsch. Hier gibt es keine al-Qaida."

"Al-Qaida ist Geschichte", sagt auch Iman Bugaighis in der Rebellenhauptstadt Bengasi. Die Philosophiedozentin, die lange in London gelebt hat, vermittelt heute zwischen dem Übergangsrat der Aufständischen sowie Geschäftsleuten und Diplomaten. Ihr Arbeitsplatz ist das feine Tibesti-Hotel, wo auch der französische Botschafter residiert und alle, die auf gute Geschäfte mit der neuen Regierung hoffen.

"Der Westen sollte mal ein paar Sachen verstehen", ärgert sich Bugaighis. Al-Qaida sei ein Produkt der Hoffnungslosigkeit gewesen. Hier die Diktatoren, dort der Westen, der sie unterstützt. "Jetzt vertreiben wir die Diktatoren, und der Westen hilft dabei", sagt die 35-Jährige. Die Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Osten seien aber auch eine Antwort auf al-Qaida selbst: "Sie sagen den Terroristen: Ihr habt eure Chance gehabt. Aber statt die Pharaonen zu vertreiben, habt ihr nur Unschuldige ermordet." Jetzt wollten die Libyer Demokratie, Bildung, Rede- und Reisefreiheit. "Wir wollen, was ihr habt", sagt Bugaighis.

Einst Islamistenhochburg

Wer in Libyen nach den Überresten der Dschihad-Bewegung sucht, tut das in Derna, 300 Kilometer östlich von Bengasi. Die Küstenstadt gilt als weltweiter Topexporteur von Selbstmordattentätern. Im Irakkrieg waren rund 50 ausländische Dschihadisten aus Derna dabei – mehr als aus jeder anderen arabischen Stadt.

Bereits in den 90er Jahren hat sich hier die Libysche Islamische Kampfgruppe – Muqatilah genannt – Straßenkämpfe mit der Regierung geliefert. Gaddafi griff damals brutal durch. Die meisten Dschihadisten wanderten ins Gefängnis, viele verschwanden einfach. Vor drei Jahren schlossen die Überlebenden ein Abkommen mit Saif al-Islam Gaddafi. Sie schworen der Gewalt ab und wurden freigelassen.

Seit Beginn der Revolution machen jedoch zwei ehemalige Afghanistan-Kämpfer von sich reden: Abdul Hakim al-Hasadi und der Ex-Guantánamo-Häftling Abu Sufian bin Qumu hatten – sehr zum Verdruss des revolutionären Stadtrats von Derna – eine Brigade aus 300 Mann gebildet und sich zu den Sicherheitsbeauftragten der 50.000-Einwohner-Stadt erklärt. Heute, zwei Monate später, sind sie weitgehend in der Versenkung verschwunden. Ein ehemaliger Offizier befehligt jetzt die Derna-Brigade, die auf rund 1.000 Leute angewachsen ist.

"Schneidet eure Bärte oder geht"

"Wir haben sie gewarnt", sagt Stadtrat Ahmed Kaiqaban, ein Flugzeugingenieur, der 30 Jahre Gefängnis und Hausarrest hinter sich hat. "Schneidet eure Bärte oder geht. Und wenn ihr hier mit al-Qaida ankommt, seid ihr dran", habe er den Veteranen gesagt. Diese hätten versprochen, sich nach der Revolution von selbst zurückziehen. "Ich denke, auch sie wollten nur Gaddafi beiseite schaffen", sagt Kaiqaban.

Draußen vor der zentralen Sahaba-Moschee in Derna treffen sich die Menschen und feiern allabendlich ein Fest der Demokratie. Jeder darf das Mikrofon nehmen und sagen, was er will. Manche werden ausgelacht, reden trotzdem weiter und bekommen dann doch Applaus. "Unglaublich, dass man öffentlich sagen darf, was einem durch den Kopf geht", schwärmt einer.

"Die Zeit von al-Qaida läuft aus", sagt spätabends einer der Männer, die noch auf dem Platz sitzen und Tee trinken. Die anderen nicken. Und was ist mit dem Gerücht, einige der 200 Libyer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet seien auf dem Weg hierher? "Lassen Sie sie doch kommen", sagt Kaiqaban. "Gegen Gaddafi dürfen sie gerne kämpfen, aber danach werden sie nach Hause geschickt."

"Ich finde es langsam ermüdend, das immer wieder zu erklären", sagt Noman Benotman. Früher hat er die Islamische Kampfgruppe geführt. Nach den 9/11-Anschlägen schwor er der Gewalt ab und schrieb öffentliche Briefe an seinen früheren Freund Osama bin Laden und forderte ihn auf, das Gleiche zu tun.

Geschichten aus der Hölle

Heute arbeitet Benotman für die Quilliam-Foundation, einen Londoner Thinktank, der vor allem aus Aussteigern aus der Islamistenszene besteht. "Wir haben schon in den 90er Jahren kaum jemanden hinter uns gebracht", sagt Benotman. "Und wenn, dann nur Verzweifelte und Verfolgte." Heute sei der Dschihadismus in Libyen absolut out und habe nichts mit der Revolution zu tun.

Warum das so ist, wird klar, wenn man die Erlebnisse der Menschen hört. Es sind Geschichten aus der Hölle, wie die der Familie al-Teira. Einen ihrer acht Söhne verlor sie in den 90er Jahren. Der Geheimdienst hatte ihn mitgenommen, und bis heute weiß niemand, wie er starb. Nacht für Nacht seien immer wieder die Geheimdienstleute aufgetaucht und hätten einzelne Familienmitglieder mitgenommen. "Ich war acht Tage zwischen den Verhören in einer Zelle, die sogar zum Liegen zu klein war", sagt Marei al-Teira. "Es kam mir vor wie zehn Jahre." Den zweiten Sohn verlor die Familie Ende März bei der Verteidigung von Bengasi. Er bekam eine Kugel zwischen die Augen, nur Stunden bevor Sarkozys Luftwaffe dem Alptraum ein Ende machte.

Der 23-jährige Arzt Hussein berichtet vom Aufstand und dem Kampf um die Katiba, die Kaserne. Er zeigt die Orte, an denen die Menschen bei Demonstrationen von Flak-MGs in zwei Hälften zerrissen wurden und erzählt, wie er – als angehender Chirurg – vier von Gaddafis Soldaten im Kampf tötete und wie er nachts daran denken muss. Später befreiten die Aufständischen Menschen aus den Grüften unter der Katiba. Manche von ihnen hatten 12 Jahre lang kein Licht gesehen.

Doch nicht nur Gaddafi ist verhasst, auch die Islamisten haben die Bevölkerung immer wieder enttäuscht: In den 70er Jahren schienen die gemäßigten Moslembrüder einen Ausweg zu bieten – bis sie in den Gefängnissen verschwanden. In den 80ern und 90ern kamen die "Muqatilah", die Gewalt von allen Seiten nahm zu. Schließlich das Bündnis der Muqatilah mit al-Qaida, das in den Trümmern von 9/11 unterging – nichts von alledem hat den Libyern geholfen.

Erst die Revolution hat sie weitergebracht. So herrscht im Moment tatsächlich das libysche Volk, anarchisch und voller Glauben an die selbst erkämpfte Freiheit. Gaddafi beschimpft die Freiheitskämpfer als "Ratten, Terroristen und Drogensüchtige".

"Muammar, du Pussy, komm raus // wir sind die Ratten, wir sind hier", singt der libysche Rapper Teabag auf der Kassette in Husseins Wagen. "Niemand", sagt der Arzt und schiebt den Unterkiefer vor, "niemand stiehlt diese Revolution."

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • H
    hoffnungslos

    erschreckend, dass antiimerpialismus heute vollkommen deckungsgleich mit verschwörungstheorie ist.

    kommt ihr eigentlich nicht damit klar, dass gesellschaftliche prozesse immer vielschichtig, komplex und ja teils sehr widersprüchlich sind?

    ihr ertragt es wohl nich, dass es viele menschen vor ort gibt, die eure ideologie wiedersprechen. hey uns wenns schon kein sozialismus wird, dann wär eine demokratisch, liberaler kapitalismus doch immer noch besser als eine so menschenverachtende diktatur al la Gaddafi. dann müssen WIR eben noch ein bischen warten bis DIE sich endlich so verhalten wie WIR es für richtig erachten.

  • RM
    René Müller

    Die Begründung des NATO-Einsatzes mit dem Schutz von Zivilisten ist so lächerlich und durchsichtig, das glauben wirklich nur noch extrem einfach gestrickte Menschen. Dr. Paul Craig Roberts, ehemaliger Staatsekretär im Finanzministerium Ronald Reagans, erklärt, warum der Krieg gegen Libyen geführt wird:

     

    http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=10956&Itemid=35

  • E
    end.the.occupation.1

    Dass es sich um eine Revolution des Volkes handelt erkennt man in der taz ganz unschwer daran, dass die Revolutionäre auf die Hilfe von NATO-Bombern angewiesen sind.

    Und NATO-Bombenziele sind immer 'Humanitäre Notstandsgebiete' - ob vorher oder nachher - für die taz zählt allein die Verbeugung vor der westlichen Banditengemeinschaft.

     

    Im 'hintergrund' gibt es einen recht guten Überblick über die tatsächliche Motivlage im Fall Libyen und über die Karzais, Malikis und Fayyads, welche die USA, Frankreich und Grossbritannien für Libyen vorgesehen haben. Anders wie der Irak-Überfall, ist der Überfall auf Libyen ein reiner westlicher Resourcenkrieg.

  • K
    kopfschüttel

    Meine Güte, da ist die ganze paranoide Kommentartruppe ja wieder am Start. Lest ihr eigentlich die Artikel auch, die ihr kommentiert? Findet ihr euch nicht selbst bischen ... schrill? Was ist nur los mit euch.

  • N
    niewiedergrün

    Gleichgeschaltete Medien, ich dachte das gabs nur in der DDR???

  • V
    vic

    Aha, wenn sie`s sagen...

    Jetzt würde ich nur noch gerne wissen, weshalb die "Westliche Wertegemeinschaft" so bereitwillig mit teuren Bomben um sich wirft.

    Schutz der Zivilbevölkerung? Das können die Entscheider ihrem Pfarrer erzählen.

  • F
    Florentine

    Die Kriegspropaganda der taz geht weiter. Wenn nun der taz- Kandidat Fischer Bundeskanzler wäre, könnte die taz endlich titeln: DEUTSCHE Bomber über Tripolis.Mich schaudert vor den Meinungen in der taz-Redaktion.

  • B
    brainOnaut

    @fritz:

    der staat bestimmt doch in erster linie, was "kriminell" ist & "drogenhändler" wie im artikel angegeben, bedeutet vielleicht in diesem fall schlicht jemand, der erwischt wurde, wie er seine freunde mit gras versorgt hat.

    "kriminell" ist das für mich nicht.

     

    @von Revolution - sponsered by CIA & anita s.:

    seid mal bitte nicht so selbstgerecht, dankeschön.

  • RS
    Revolution - sponsered by CIA

    Zeichnen sie doch nicht das Bild von harmlosen libyschen Rebellen, die aus der Mitte der Zivilgesellschaft heraus mal spontan eine fröhliche Revolution machen. Die Aufständischen wurden über Jahre hinweg von ausländischen Geheimdiensten aufgebaut und gefördert. Sie warteten nur auf den Moment zum Losschlagen. Der Aufstand war im Gegensatz zu Ägypten und Tunesien von Anfang an auf einen gewalttätigen Umsturz angelegt. In Tunesien und Ägypten war die Revolution deswegen nicht gewalttätig, weil der Westen kein Interesse daran hatte, seine in Vasallentreue verbundenen engen Verbündeten zu verlieren. Deswegen bestand auch keine Notwendigkeit subversiv Oppositionskräfte zu unterstützen. Die Ausländischen in Libyen vertreten nur eine Mehrheit in Bengasi und Misrata, nicht aber im ganzen Volk. Es ist klar dass die USA und andere europäische Mächte ihre Schützlinge mit allen propagandistischen Mitteln als wehrlose Zivilisten darstellen wollen und nur einen Grund gesucht haben, gegen Libyen Krieg führen zu können. Libyen hat die größten Ölreserven Afrikas, war Motor einer solidarischen Zusammenarbeit afrikanischer Staaten und liegt im Herzen des arabischen Teils Nordafrikas. Mit Militärbasen in einem prowestlichen libyschen Ölscheichtum kann man den schlafenden Riesen Ägypten hervorragend in Schach halten. Gaddafi war zu gefährlich für die Interessen des Westens in Afrika - deswegen muß er weg und deshalb die Verleumdungskampagne gegen Gaddafi als Monster und Massenmörder. So wenig dieses Zerrbild auf Gaddafi (wie ach damals gegen Milosevic) zutrifft, umso mehr fällt diese Projektion auf die Regierungen der NATO-Kriegskoalition zurück.

  • N
    Nassauer

    Hättet ihr zum 90. von Hildegard Hamm-Brücher kein vorteilhafteres Foto von ihr verwenden können?

  • HW
    Hilfe, wir werden amerikanisiert!

    Wieso übersetzt Ihr den Artikel der Amis so halbherzig ins Deutsche?

     

    Äl-Qqqqäko Journalismus.

  • AS
    anita s.

    "Dort warten weitere Frontkämpfer im Alter zwischen 15 bis 50 bei Tee, Joints und Süßigkeiten auf ihren Einsatz."

     

    - Die taz bejubelt den einsatz von kindersoldaten. Ihr könnt stolz sein auf das, was aus euch und eurer zeitung geworden ist!

  • FK
    Fritz Katzfuß

    Kriminelle....das sollte zu denken geben.