Krieg in Libyen: Haftantrag gegen Gaddafi
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat Haftbefehl gegen Gaddafi, dessen Sohn und den Chef des Geheimdienstes beantragt. Drei Offiziere haben sich abgesetzt.
TRIPOLIS/TUNIS dapd/dpa | Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag hat am Montag internationale Haftbefehle gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam sowie Geheimdienstchef Abdullah Senussi beantragt. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, darunter Morde, Folter, die Verfolgung unschuldiger Menschen und Vergewaltigungen.
"Diese Verbrechen gehen weiter, während wir versammelt sind", sagte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo bei einer Pressekonferenz in Den Haag. "Gaddafi hat die Verbrechen verübt, um seine Macht zu sichern." Die Verdächtigen sollen vor allem für blutige Überfälle von Sicherheitskräften auf friedliche Demonstranten sowie die Tötung von Zivilisten bei Angriffen seiner Truppen auf regierungsfeindliche Rebellen verantwortlich sein.
Der Chefankläger begründete die Haftanträge in einem mehr als 70 Seiten umfassenden Dossier mit von der Staatsanwaltschaft zusammengetragenem Beweismaterial. Die Akte wurde den drei Richtern der für Prüfungskammer des IStGH übergeben. Erst wenn sie entscheiden, dass die Vorwürfe hinreichend belegt sind und einen Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen, können die Haftbefehle tatsächlich ausgestellt werden.
Die Staatsanwaltschaft wirft Gaddafi und den anderen Verdächtigen persönliche strafrechtliche Verantwortung für die Tötung von mindestens 500 bis 700 Demonstranten vor. Sie legt ihnen zudem den Einsatz schwerer und teils sogar verbotener Waffen - speziell Splitterbomben - gegen Zivilisten sowie gezielte Vergewaltigungen als Mittel zur Einschüchterung der Bevölkerung zur Last.
Der UN-Sicherheitsrat in New York hatte dem Haager "Weltstrafgericht" das Mandat für Ermittlungen im Libyen-Konflikt am 26. Februar einstimmig erteilt. Bereits am 4. Mai berichtete Moreno-Ocampo dem höchsten politischen Entscheidungsgremium der Weltorganisation, er habe ausreichendes Beweismaterial. "Es wird in Libyen keine Straflosigkeit geben", versprach der Chefankläger.
Drei Offiziere nach Tunesien abgesetzt
In Libyen suchen immer mehr Militärs und Politiker das Weite. Tunesische Medien meldeten in der Nacht zum Montag, drei Offiziere der libyschen Armee hätten sich mit einem Boot aus der Stadt Al-Sawija nach Tunesien abgesetzt. Zuvor hatte nach Angaben des Innenministeriums eine größere Gruppe von Funktionären, darunter der Chef der Zollbehörde und ein Diplomat, die Grenze überquert. Es war aber nicht klar, ob die Politiker und Beamten, die zum Flughafen von Djerba fuhren, fliehen wollten oder ob sie im Auftrag des bedrängten Machthabers Muammar al-Gaddafi reisen.
Die libysche Regierung hat Bemühungen des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) um Haftbefehle gegen drei Angehörige des Regimes als bedeutungslos zurückgewiesen. Der stellvertretende Außenminister Chaled Kaim erklärte, man werde dieser Entscheidung keine Beachtung schenken. Libyen erkenne die Zuständigkeit des IStGH wie die meisten afrikanischen Länder nicht an.
Gaddafi angeblich verletzt
Italiens Außenminister Franco Frattini zeigte sich überzeugt, dass Gaddafi Tripolis verlassen habe. Dem katholischen Bischof der Stadt, Giovanni Martinelli, zufolge ist Gaddafi offenbar verletzt und aus der Stadt geflohen. Dies sei glaubwürdig, sagte Frattini. Allerdings sei nicht bekannt, wo Gaddafi sich aufhalte.
Gefechte in Taworgha
Der Militärsprecher der Aufständischen in Bengasi, Ahmed al-Bani, sagte, am Montag habe es erneut Gefechte zwischen den Revolutionären und den Truppen des Regimes in der Ortschaft Taworgha gegeben, die südöstlich der seit Wochen umkämpften Stadt Misurata liegt. "In dieser Stadt gibt es sehr viele Agenten des Regimes, deshalb ist sie von großer strategischer Bedeutung für uns", erklärte der Sprecher.
Libysche Rebellen hatten am Sonntag erklärt, sie hätten die Hafenstadt Misurata im Westen des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Die Angaben konnten nicht von unabhängiger Quelle bestätigt werden.
Die libysche Nachrichtenagentur JANA hatte am Sonntagabend Angriffe der Nato auf militärische und zivile Ziele in der Hauptstadt Tripolis gemeldet. In dem Bericht war die Rede von mehreren Opfern. Die Aufständischen erklärten auf ihren Websites, es sei unter anderem ein Munitionsdepot im Stadtteil Dschansur getroffen worden. In dem Vorort Tadschura sei es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern von Gaddafi gekommen.
Die Oppositionszeitung Libya al-Yom meldete, die Aufständischen hätten am vergangenen Samstag ein Komplott von Gaddafi-Anhängern in der östlichen Stadt Bengasi aufgedeckt. Diese hätten versucht, im Hotel "Tibesti" den Generator in die Luft zu jagen und das Wasser zu vergiften.
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