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Libyens ÜbergangNeue Regierung ohne Dschibril

Der lybische Übergangs-Premier Dschibril will nicht Teil der neuen Regierung seines Landes werden. Der liberale Politiker sieht sich dem Widerstand der Islamisten ausgesetzt.

Weitermachen? Ja. Aber nicht in der neuen Regierung, sagt Mahmud Dschibril. Bild: Reuters

TRIPOLIS afp/rtr | Bei der zukünftigen Entwicklung Libyens wird der Regierungschef des Nationalen Übergangsrates, Mahmud Dschibril, keine Führungsrolle mehr spielen. Er werde kein politisches Amt in der neuen Regierung übernehmen, sagte Dschibril am Donnerstag in Tripolis. Zuvor nahmen Kämpfer der derzeitigen libyschen Führung nach eigenen Angaben den Sprecher des langjährigen Machthabers Muammar el Gaddafi gefangen.

Das Exekutivbüro des Übergangsrates werde seine Arbeit aber bis zur "völligen Befreiung" Libyens fortführen, versicherte Dschibril, der für seine liberale Haltung bekannt ist und sich im Übergangsrat dem Widerstand der Islamisten ausgesetzt sieht. Der Rat hatte am Dienstag erklärt, die Bildung einer Übergangsregierung zu verschieben, bis das Land vollkommen unter Kontrolle sei.

Der republikanische US-Senator Mark Kirk sagte am Donnerstag nach einem Besuch in Libyen, Dschibril habe ihm gegenüber erklärt, vorgezogene Wahlen zu befürworten. Zudem habe er versichert, dass die Islamisten lediglich auf 10 bis 15 Prozent der Stimmen kommen würden.

Unklar war, ob Dschibril mit seinen Äußerungen vom ursprünglichen Zeitplan für die Wahlen abwich, der nach der Einnahme der Hauptstadt Tripolis Ende August von den früheren Rebellen verkündet worden war. Dieser sieht vor, dass der Übergangsrat acht Monate lang bis zur Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung regieren kann.

Obwohl es in den Gaddafi-Hochburgen Bani Walid und Sirte noch immer heftige Gefechte gibt, zeigte sich Kirk überzeugt, dass die Kämpfe bis Ende Oktober beendet würden. Und das trotz der Befürchtung, dass sich noch Gaddafi-Kämpfer auf der anderen Seite der Grenze im Niger oder in Algerien befinden könnten. Der Nationale Übergangsrat habe "bereits vor mehr als einer Woche" die Kontrolle über wichtige Positionen übernommen.

Sprecher als Frau verkleidet

Unterdessen wurde offenbar der Sprecher Gaddafis von den Kämpfern der neuen libyschen Führung gefasst. Mussa Ibrahim sei am Donnerstag nahe Gaddafis Heimatstadt Sirte gefasst worden, sagte ein Kommandeur des Nationalen Übergangsrats. Ein weiterer Kommandeur der neuen Führung bestätigte die Festnahme. Kämpfer aus der Stadt Misrata hätten Ibrahim gefasst, sagte der Kommandeur Mohammed el Marimi. Es gebe Berichte, wonach Ibrahim als Frau verkleidet gewesen sei, dies könne er derzeit aber nicht bestätigen.

Noch in der vergangenen Woche hatte Ibrahim laut dem in Syrien ansässigen Fernsehsender Arrai zum "Widerstand" aufgerufen und "qualitative Siege" der Gaddafi-Anhänger verkündet. Das etwa 360 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Sirte ist eine der letzten Hochburgen der Gaddafi-Getreuen.

In Sirte liefern sich Kämpfer der neuen Führung und Gaddafi-Anhänger seit Tagen heftige Gefechte. Die Truppen der libyschen Übergangsregierung haben am Donnerstag den Flughafen der Gaddafi-Hochburg erobert. Sirte gilt neben Bani Walid als letzter verbliebener Posten der Anhänger Gaddafis.

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6 Kommentare

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  • HS
    Hari Seldon

    Augenscheinlich ist Herr Jibril besser informiert, und wusste schon, dass die NATO "etwas schneller" als 90 Tage aussteigen will. Hier ist die neueste Nachricht von AP: http://hosted.ap.org/dynamic/stories/U/US_US_LIBYA?SITE=AP&SECTION=HOME&TEMPLATE=DEFAULT&CTIME=2011-10-01-12-53-38. Ohne die NATO können die Rebellen sogar kurzfristig nicht überleben. Wenn der Herr Glück hat, wird er in das Zeugenschutzprogramm der Vereinigte Staaten mit einer neuen Identität aufgenommen, und dann kann er in einem sicheren Versteck überleben. Sonst---wie ein US-Analyst in einer TV-Roundtable gesagt hat--hätte er enorme Schwierigkeiten beim Kauf einer Lebenversicherung, weil die Versicherungsgesellschaften sein Restlebensdauer zu niedrig einschätzen würden. Die Gesamtbilanz von seiner "segenreichen Aktivitäten" lassen sich sehen: Mehr als 60 000 Toten (größenteils Zivilisten,Frauen und Kinder), und ein zerbombtes und verwüstetes Land. ICC sollte den Herrn sofort verhaften, und enstprechend bestrafen. Sein einziger Milderungsgrund: Bei diesem Tat war er nicht allein. Er hat sehr prominente Mittäter gehabt: Sárközy, Cameron, Obama, NATO, und leider die westliche sogenannte "Demokratie", usw.

  • HS
    Hari Seldon

    Die italienische Führung (Aussenminister Frattini) besucht gerade Libyen in ähnlichem Manier, wie damals Benito (der Mussolini), und will Gespräche mit den Rebellen führen. Klärer konnte nicht ausgedruckt werden, worum geht es in Libyen. Ich dachte, dass der Faschismus mit Nürnberg endgültig vorbei ist. Augenscheinlicht ist es nicht der Fall. Übrigens gibt es Gerüchte, dass "Herausforderungen" mit der Kampmoral der Piloten gibt. Immer mehr Offizieren stellen die Frage, wie ist mit den Terrorangriffen gegen der Zivilbevölkerung, und es gibt Stimmen (sogar in den höheren Ranken), die früher oder später ein Nürnberg II fürchten.

     

    Vom Schlachtfeld kommen schlechte Nachrichten für die Rebellen. Immer mehr Libyer und die noch zögernden Stämme verstehen, worum geht es, und einige rebellierenden Stämme haben schon entschieden, dass die ab jetzt gegen der Rebellen kämpfen werden. Der grösste Teil von Tripoli steht unter der Kontrolle der grünen Flagge, und gestern wurden sogar die Büros des CIA-HQs in Tripoli ausgeräumt. Die Residenten und die Kollaborateuren flüchteten zum Flughafen, wo die erste Vorbereitungen für die Evakuierung schon getroffen wurden. Das grösste (und entscheidende) Problem für NTC: Die breite gesellschaftliche Unterstützung fehlt. Nut mit bewaffneten Gastarbeiter und fremden Söldner mit Zusage auf freien Raub geht es nicht.

  • JL
    julius lieske

    Also St. Nimmerleinstag.

    "Der Rat hatte am Dienstag erklärt, die Bildung einer Übergangsregierung zu verschieben, bis das Land vollkommen unter Kontrolle sei."

  • JO
    Jürgen Orlok

    Der NTC kann es kaum offener sagen, daß der NTC nichts als eine Marionette, mi tein wenig Eigenleben, von NATO&Co ist.

    Die konkreten Personen in der Öffentlichkeit sind nur Eitelkeiten.

    Wer erst ALLE Gaddafi-Anhänger durch die NATO besiegt sehen will, bevor er die Macht an eine "Regierung" übergeben will, gibt zu, daß er SOFORT von der Macht entfernt würde, wenn NATO sich verziehen würde !!!

    In Libyen fanden fast zeitgleich ein AlKaida / Islamisten inspirierter Aufstand und ein vorgezogener Putsch von Qatar/France backed akademischer Elite statt, den unterbezahlten Leistungsträgern.

    In Libyen putschten NATO&Co !!

    Es gab mal Zeiten, da wurde ein neokolonialistischer Putsch mit Mißfallen gesehen ...

    Und warum funktionierte er so gut bei UNS im Westen ?

    Es gab eine freiwillige Gleichschaltung und Lügenkampagne der Medien , wie ich sie noch nie in meinem Leben erlebt habe.

    Jüngere können dann vielleicht in 20 Jahren die Wahrheit nachlesen, weil dann jegliche Brisanz der Lügen Geschichte sind.

    Westler, Grüne, SPD, ..., taz-Leser morden ruhigen Gewissens, weil sie ja ein Monster zur Strecke bringen - ENDLICH der in der Jugend heiß ersehnte gerechte Krieg!Das das Monster nur ein Mediales Produkt ist, wen scherts. Und man muß nicht einmal etwas tun, angenehm bequem.Denn der Krieg findet an fernen Orten statt.

    Und dann unsere EU-Ambitionen : Es dürfte doch den meisten schwerfallen , sich eine stärkere europäische Integration mit Neokolonialen, Raubmördern (GB, F, N, B, ...)und Kriegsverbrechern zu wünschen. Grüne sind da natürlich ausgenommen.

    KRIEG soll Europa unter der Führung der alten Mächte F und GB zusammenschweissen.

    Reichgründung a la EU und als Zugabe noch die FinanzKrise!

    Es lebt sich halt leichter mit Lügen, wenn es Lebenslügen sind !

    Aber es kann vorkommen, das die Realität die Lügen scheitern läßt, leider nur ein kann ...

  • R
    reblek

    "Der lybische Übergangs-Premier Dschibril will nicht Teil der neuen Regierung seines Landes werden." - Kein Wunder, er ist ja auch "der libysche Übergangs-Premier", obwohl der frühere taz-Autor Jörg Armbruster im Brustton der Überzeugung immer "Lybien" sagt.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Wenn das stimmen würde, dann wären millionenschwere Fotos aus Handyperspektive entstanden. Die würden von Zeitungen in der ganzen Welt gekauft. Es gibt sie aber nicht! Nato-Kriegsparteiblatt TAZ erzählt uns also wieder Märchen.