piwik no script img

Liberalisierung in Afghanistan

■ Ausnahmezustand aufgehoben / Verfassung soll geändert werden / Für Nadschibullahs Kopf opfert die Partei ihren Führungsanspruch / Große Nationalversammlung soll bis Ende Mai Verfassung ändern

Kabul (afp/taz) - Zwei Wochen früher als angekündigt hat der afghanische Präsident Mohammed Nadschibullah die Aufhebung des seit Abzug der Sowjets im Februar letzten Jahres geltenden landesweiten Ausnahmezustands angeordnet und damit den Weg für weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen freigemacht. Nach Angaben des Regierungssprechers ernannte Nadschibullah nun ein 15köpfiges Komitee zur Vorbereitung einer großen Nationalversammlung (Loja Dschirgah), die weitreichende Verfassungsänderungen zur politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung in Afghanistan beschließen soll. Das Komitee werde von Nadschibullahs Stellvertreter Abdul Raheem Hatif geleitet, der nicht Mitglied der regierenden Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) ist. An der großen Nationalversammlung sollen rund 8.000 Delegierte der verschiedenen Regionen und Volksgruppen des Landes teilnehmen.

Noch am Montag hatte die Regierung die Aufhebung des Ausnahmezustands, der im Februar 1989 nach dem Abzug der letzten sowjetischen Truppen verhängt worden war, für den 20. Mai angekündigt. Das jüngste Politbüromitglied, der 32jährige Fareed Masdak, hatte zudem drastische Reformen in Aussicht gestellt, unter anderem die Streichung der Führungsrolle der Partei, die Einführung eines politischen und wirtschaftlichen Pluralismus und die Förderung ausländischer Investitionen. Durch diese Reformen solle dem seit elf Jahren andauernden Bürgerkrieg ein Ende gesetzt werden. Ende März zeigte sich die afghanische Regierung auf Druck einer UN-Delegation gar zur Rückgabe des Eigentums an die ca. fünf Millionen afghanischen Flüchtlinge und zum Rücktransport in ihre Heimat bereit. Auch die afghanische KP hatte sich in jüngster Zeit zunehmend von ihrer marxistischen Vergangenheit distanziert und die Einführung von demokratischen Partei-Strukturen angekündigt. „Wir hatten eine Demokratie der Bomben und Panzer“, räumte Masdak ein. Politbüromitglied Nadschmuddin Kawiani hatte am Dienstag zudem erklärt, Kabul sei prinzipiell bereit, noch vor Jahresende Wahlen abzuhalten. Bedingung dafür sei, daß die USA die Kandidatur Nadschibullahs akzeptierten. Nach Ansicht von Diplomaten steht der Schwenk im Zusammenhang mit dem amerikanisch-sowjetischen Gipfel im Juni.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen