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Libanon: Gespannte Lage in Saida

Nicht weit von Beirut entfernt wird in der Hafenstadt Saida das Netz libanesischer und pro-syrischer Schiitenmilizen immer enger / Ein Wiederaufflammen der innerpalästinensischen Kämpfe scheint unausweichlich / Bei einer solchen Eskalation könnte die PLO Arafats in Bedrängnis geraten  ■  Aus Saida Petra Groll

Für Abu Yassir, Militärchef der El-Fatah im südlibanesischen Saida, stellt sich nur noch die Frage, welche Feindseite zuerst gegen die letzte militärische Hochburg der PLO im Libanon losschlägt. „Wir haben uns vorbereitet“, sagt er, „mit einem großangelegten Angriff der Israelis rechnen wir schon seit einiger Zeit. Nachdem die Syrer den Widerstand in den Beiruter Camps zerschlagen haben, müssen wir neue Aggressionen auch aus dieser Richtung erwarten.“

Erdwälle, Feldwege und Schützengräben sind rund um Miyeh -Miyeh und Ain-el-Helwueh, die beiden Palästinenserlager am Stadtrand, erneuert und befestigt worden. Abu Yassir hat schon einmal unter ähnlichen Umständen, 1983 im nordlibanesischen Tripoli, auf Seiten des PLO-Chefs Arafat gekämpft. Pro-syrische Palästinenserorganisationen, vereinigt in der „palästinensischen nationalen Rettungsfront“, betrieben damals den Sturz der PLO-Führung und belagerten die Palästinenser-Camps von Nahr-el-Bared und Baddawi im Norden des Landes.

Das „Netz“ um Saida und die angrenzenden Camps Miyeh-Miyeh und Ain-el-Helwueh ist in jüngster Zeit dichter und enger gezogen worden. Israel hat die „Südlibanesische Armee“ (SLA), die im von Israel besetzten Grenzstreifen im Süden des Landes operiert, mit neuen Panzern ausgerüstet. Die Frontlinie zwischen Israelis und SLA einerseits und islamisch-libanesischem Widerstand und den Palästinensern andererseits, reicht im bergigen Hinterland bis auf wenige Kilometer an Saida heran. Die pro-syrische Schiitenmiliz Amal, militärische Vormacht im Küstenstreifen südlich von Saida, hält weiterhin ihre Stellungen nicht nur am südlichen Ortsrand von Saida. Wenige Kilometer östlich der Palästinenserlager steht sie auch an der syrischen Front von Magdousheh. Nordöstlich von Saida sind in jüngster Zeit Panzereinheiten vorgedrungen, die die Stadt und die Palästinenserlager aus ihren neuen Positionen bequem bombadieren.

Saida, die hauptsächlich von sunnitischen Moslems bewohnte Hafenstadt mit ihren klotzigen Befestigungsanlagen aus Kreuzfahrers Zeiten, ist eine seltsame Enklave inmitten des von fremden Armeen besetzten Libanon. Zwar zogen nach dem israelischen Truppenabzug im Frühjahr 1985 Einheiten der regulären libanesischen Armee und der Polizei unter lautem Jubel in die Stadt, doch ruht das Zepter der Macht in den Händen Mustafa Saads, des populären Anführers der nasseristischen „Volksbefreiungsarmee“, die von Libyen finanziert wird und traditionell mit der PLO verbündet ist. Auch die libanesische Kommunistische Partei genießt in der Stadt einen letzten Rest von Bewegungsfreiheit.

Nach Saida kehrte in den vergangenen Jahren auch das Gros der PLO-Truppen zurück, die nach der israelischen Invasion 1982 aus West-Beirut evakuiert worden waren. Die Bevölkerung von Miyeh-Miyeh und Ain-el-Helwueh wird auf mehr als 100.000 Menschen geschätzt, darunter - so israelische Geheimdienstangaben - 10.000 PLO-Kämpfer. Libanesischen Quellen zufolge verfügt Yassir Arafats Organisation El-Fatah allein über 4.000 bis 5.000 Soldaten. Innerhalb der Camps „regiert“ eine 150Mann starke PLO-Sicherheitstruppe, die sich aus allen PLO-Parteien rekrutiert, der aber kaum mehr als symbolische Bedeutung zukommt. Obwohl die Dissidentengruppe von Abu Moussa, die der „Nationalen Rettungsfront“ angehört, nicht über Büros und Stützpunkte innerhalb der Camps verfügt, rechnet man doch mit einer Fortsetzung der palästinensisch-palästinensischen Kämpfe in den Lagern von Saida, die, als letzte Eskalation des fünfjährigen Krieges zwischen Arafats PLO-Führung und dem Regime des syrischen Präsidenten Assad, zur erneuten Niederlage der PLO in Libanon zu führen drohen.

Oberst Abu Moussa, Anführer der Dissidenten, die gegen Führungskurs und -stil des PLO-Chefs rebellierten, hatte bereits im Juli die Arafat-Truppen aus den Flüchtlingslagern Chatila und Bourj-el-Brajneh vertrieben. Nun kündigte er an, man werde Front gegen Saida machen, Arafat werde aus ganz Libanon gejagt. Während der libanesischen Öffentlichkeit abermals eingetrichtert wird, der PLO-Chef wolle rund um Saida seinen „Kanton“ einrichten und plane somit die Zerstörung Libanons, steht im Zentrum der Kritik das sogenannte „Abu-Sharif-Dokument“, für Abu Moussa erneuter Beweis für den Kapitulationskurs der Arafat-Führung. Abu Sharif, Sprecher der PLO und Berater Arafats, hatte öffentlich eine Anerkennung Israels in Erwägung gezogen.

Von einer Versöhnung zwischen Assad und Arafat, die nach dem ersten Besuch des PLO-Chefs seit seiner Ausweisung 1983 im Frühling dieses Jahres in Damaskus greifbar nahe schien, kann keine Rede mehr sein. Zwar nahm Assad am arabischen „Gipfel der Steine“, dem außerordentlichen Treffen der arabischen Liga über die palästinensische Intifada (Aufstand in den besetzten Gebieten) im Juni in Algier teil, wo der PLO bestätigt wurde, einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes zu sein, doch machte der von Syrien gesponsorte „neue Lagerkrieg“ schnell deutlich, daß der syrische Präsident keinesfalls vorhat, der PLO-Führung Entscheidungsfreiheit zu lassen.

In besonders delikater Position finden sich die „linksradikalen“ Organisationen der PLO wieder. Zwar erklärten sie unisono vehemente Ablehnung und Verurteilung des Abu-Sharif-Dokuments, doch stehen sie gleichzeitig zur „nationalen palästinensischen Einheit“ und der beim letzten Nationalrat wiedergewonnenen Einsicht, PLO-interne Konflikte auf verbalem Weg zu regeln. George Habbash, Chef der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ erklärte, seine Organisation werde das „Unmögliche“ unternehmen, palästinensisch-palästinensische Gefechte in Saida zu verhindern. Dieser Zwickmühle entsprang denn auch die symbolische Sicherheitstruppe, die Provokationen und Zwischenfälle in Saida verhindern soll, ist die Gefahr damit nicht gebannt. Abu Moussa bestätigt, er habe eine stattliche Anzahl von Aktivisten im Untergrund von Ain-el-Helwueh, und auch die anfängliche Weigerung Mustafa Saads, die aus Chatila evakuierten Arafat-Leute aufzunehmen, spricht Bände. Er wolle keine weiteren Probleme in Saida, ließ Mustafa Saad verlauten. Erst verstärkte Bemühungen der libyschen Unterhändler konnten den Chef von Saida umstimmen.

Die Lage in Saida ist zwar gespannt, doch bezweifeln libanesische Beobachter, daß es jetzt schon zum offenen Krieg zwischen Palästinensern kommt. Israel sei mit der Intifada allemal beschäftigt, argumentieren sie, und Syrien müsse derzeit alle Kräfte für die Durchführung der libanesischen Präsidentschaftswahlen einsetzen, die bis Ende September abgeschlossen sein sollen. Sollte Syrien bei diesen Wahlen „seinen“ Kandidaten durchsetzen, könnte die Situation in Saida allerdings eskalieren. Syrien könnte sich dann nämlich hinter der „legalen“ libanesischen Regierung formieren und müßte sich nicht weiter zweifelhafter Milizen bedienen, wenn es um die „Entwaffnung“ der PLO in Libanon geht. Weder internationale noch arabische Kräfte könnten der PLO in diesem Falle zur Hilfe kommen. Das „Abkommen von Kairo“, das die libanesische Regierung und die PLO 1969 schlossen und das der PLO die bewaffnete Präsenz besonders im Südlibanon garantiert, wurde bereits im vergangenen Jahr von der libanesischen Regierung gekündigt.

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