Lewy alias Gläser füllt Dagoberts Turm: Der große Schwindel
Im Wohnzimmer seiner Freundin gründete ein 1995 zu acht Jahren Gefängnis verurteilter Hochstapler eine große Geldanlagen.-Firma mit dem wohl klingenden namen "J. Stern Metallgesellschaft AG". Inzwischen ist der Firmensitz in ein "Büro-Office"-Haus mit der Adresse Parkallee verlegt worden. Die Kripo ermittelt
Die Finanzmärkte krachen zusammen - glücklich, wer rechtzeitig sein Geld in Sicherheit gebracht hat. Aber wo sind Geldanlagen sicher? Ein Symbol für Sicherheit ist der Bunker. Der Bunker "Auf der Muggenburg" zum Beispiel. Der trotzige Klotz wird Tag und Nacht von einem "Security"-Mann bewacht, moderne Hochsicherheits-Tresore sind drinnen. Edelmetalle sind da gelagert, nicht Gold, das wäre banal, sagt der "Vater" der Idee, dortHenry-Isaac Lewy, sondern totsichere Metalle: Hafnium, Indium, Selen, Tantal und andere wohlklingende Namen. Das sind Stoffe, die weltweit für die modernsten Geräte des High-Tech-Zeitalters gebraucht werden. China wird sie brauchen, Indien kommt - zweistellige Wertsteigerungsraten sind garantiert.
Die "J. Stern Metallgesellschaft AG" mit Sitz in der Schwachhauser Heerstraße 169 in Bremen ist die Firma, die dieses Geschäft anbietet. "Wir sorgen uns über die Zukunft Ihrer Investitionen, indem wir unsere Portfolio-Aufnahme auf Metalle ausrichten, die für die heutige Industrie wichtig sind und die zukünftig wegen zunehmender Nachfrage und einer zukünftigen Versorgungsknappheit noch wichtiger sein werden", heißt es auf der Internetseite. Die täglichen Preise sind in "Charts" dargestellt - die Kurven gehen steil nach oben.
Wenn man unter der im Internet angegebenen Telefonnummer der J. Stern-AG aufruft, ist dort allerdings niemand. Wer sich auf den Weg zu der Firmenadresse macht, findet ein eher schäbiges Mietshaus vor mit kleinen Wohnungen. Am Briefkasten von Renata Wersien ist mit Tesafilm ein Zettel mit dem Namen "J. Stern Metallgesellschaft AG" angeklebt. Ein Bremer Anwalt versucht seit Jahren, von Frau Wersien sein Honorar einzutreiben - im vergangenen Jahr legte sie ihm ihre Sozialhilfe-Bescheinigung vor, um ihre Zahlungsunfähigkeit zu belegen. Zwischenzeitlich hatte sie einen Job - zahlte allerdings auch nicht. Ein fein gekleideter Herr, sagen Nachbarn, übernachte öfter bei ihr - offenbar Lewy.
Die Metallgesellschaft sollte eigentlich Lewy-Metallgesellschaft heißen. Sehr kurzfristig wurde der Name "J. Stern" gewählt. Warum gerade Stern? Das klingt irgendwie jüdisch und schön, vor allem aber musste der Name "Lewy" verschwinden. Denn die taz hatte "Lewy" als Tarnnamen für Manfred Gläser enthüllt. "Es gibt viele Manfred Gläsers", redete sich Lewy zunächst noch heraus, als er zum ersten Mal mit dem Manfred Gläser konfrontiert wurde, der zu achteinhalb Jahren wegen Betrugs verurteilt worden war und heute zur "Bewährung" frei herumläuft - mit der Auflage, keine Geschäfte mehr mit dem Geld anderer Leute zu machen. Aber das Foto, das der Focus 1995 abgedruckt hat, ist eindeutig: Lewy ist der Hochstapler Gläser. Er bat er darum, diese "alte Geschichte" doch nicht immer wieder aufzuwärmen. Auf der Internet-Seite www.julius-lewy-foundation.com halluziniert er sich als Vertreter einer Milliarden-Stiftung - er selbst habe erst kürzlich erfahren, dass er der Sohn des "Julius Lewy" sei, ist da zu lesen.
Bei der J. Stern-Metallgesellschaft taucht der Name Lewy offiziell nicht auf. Wer eine Mail an diese Firma schreibt, bekommt aber oft die Antwort von Lewy. Aufsichtsrats-Vorsitzende ist Renata Wersien, eine frühere Sozialhilfeempfängerin, die zeitweise mit Immobilien gemakelt hat - offenbar eine Strohfrau fürs Geschäft. Geschäftsführer ist ihr Sohn. Für den Aufsichtsrat hatte Lewy auch Natalia Lipina angesprochen, eine Anlageberaterin aus Österreich, die Lewy auf einem Messestand beeindruckt hatte. Sie hat fast 100.000 Euro der J. Stern-AG anvertraut und war einige Wochen lang in dem Glauben, ihr Hafnium läge sicher in dem Bunker. Sogar das Handelsblatt hatte Lewys Geschäftsidee positiv dargestellt - und bis heute keine Korrekturmeldung für erforderlich gehalten. Im Frühjahr war Lewy noch "Generalbevollmächtiger" der "Crystal International Consultants Ltd." mit Sitz in der "Obernstraße 62 - 66", dann machte er seine "J. Stern"-AG auf und schrieb gleichzeitig "aus London" Edelmetall-Expertisen.
Diverse Mitarbeiter haben nach drei, vier Monaten sich von dem Hochstapler abgekehrt. Irgendwann hat auch Aufsichtsrätin Lipina Zweifel bekommen, stieß bei Nachforschungen auf den taz-Bericht über die wahre Identität des Lewy - und forderte ihr Geld zurück. Sie hatte mit einer schlichten Erpressung Erfolg: Wenn das Geld nicht zurückkommt, würde sie zur Staatsanwaltschaft gehen "und du gehst in den Knast", hat sie Lewy gesagt.
Bei der Bremer Staatsanwaltschaft ist "Lewy" alias Gläser längst kein Unbekannter mehr. Eine zeitweilige Geschäftsführerin der "Crystal Cunsult" hat ihn angezeigt, weil er 900.000 Euro aus der Firmenkasse entnommen haben soll - einfach so, zur Pflege des aufwändigen Lebensstils. "Eine Mischung aus Heiratsschwindler und Felix Krull", sagt sie über den attraktiven Rentner. Der eigentliche Skandal sei, dass Anwälte und Wirtschaftsprüfer mitspielten - und Geldanleger so naiv seien, ihm ohne weitere Prüfung ihr Geld anzuvertrauen.
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