Letzter "Twilight"-Film, Teil 1: Blutleere Hintern in der Nacht
Der erste Teil des letzten Teils der Liebesgeschichte "Twilight" läuft im Kino. Er zeigt, dass Vampirstorys so erfolgreich sind, weil es in ihnen gar nicht um Vampire geht.
Neulich hat Stephen Moyer über Robert Pattinson gesagt, Pattinson sei eine Pussy. Was natürlich erst dann enorm an Witzpotenzial gewinnt, wenn man weiß, um wen es sich handelt: Stephen Moyer aus Essex, England spielt in der erfolgreichsten US-amerikanischen Vampir-TV-Serie "True Blood" den "Vampir-Bill". Und Robert Pattinson aus London, England spielt in der erfolgreichsten US-amerikanischen Vampir-Teeniefilmreihe "Twilight" den Vampir Edward Cullen.
Er habe, erzählte Moyer später in einer Talkshow, nach der Rob-Verulkung mehrere Megabytes Hatemail bekommen, habe Blogs mit ellenlangen empörten "OMG! He TOTALLY dissed Rob!"-Threads gelesen, es sich sozusagen mit einer Aussage beim gesammelten U16-Publikum verscherzt. Dabei habe er doch nur sinnbildlich gemeint, dass Robert Pattinson die Diät-Coke unter den Vampiren sei.
Und das kann man guten Gewissens unterschreiben: Im heute anlaufenden ersten Teil der filmischen Adaption vom letzten "Twilight"-Abenteuer ist sogar Robs Poritze wegretuschiert worden. Um der sechzigsekündigen Sexszene zwischen Edward Cullen und seiner soeben unter die Haube gebrachten Bella Swan, auf die tout U16 seit einem Jahr wartet, auch noch den allerletzten Pfiff zu rauben. In schönster "Twilight"-Tradition.
Stephen Moyer ist, um im Bild zu bleiben, vielleicht auch nicht unbedingt der "Tequila Pop" unter den Vampiren, diesen Posten bekleidet hinreichend "True Blood"-Kollege Alexander Skarsgard, dessen Popularität bei vampirsüchtigen Erwachsenen in den letzten vier Jahren ins Unermessliche gewachsen ist. Doch ausgerechnet der blutleere Schauspieler Pattinson ist mit "Twilight" in einer breiten Öffentlichkeit angekommen: Ihn kennen alle Mädchen, alle Jungs, die sich für Mädchen interessieren, alle Eltern, überhaupt alle, deren Blick ab und an eine Lifestyle-Zeitung streift.
Momentan ist er unterwegs, um - smart lächelnd und zu Übersprungshandlungen neigend - ein letztes Mal den Film zu promoten. Denn die "Twilight"-Saga hat sich mit dieser ersten Hälfte des Finales ans lange Sterben gemacht: Über gedehnte 117 Minuten, in denen sehr wenig passiert und extrem viel nicht passiert, kommen Edward und Bella endlich vor Gott und den Menschen (und den Vampiren und den Formwandlern) zusammen, haben das erste Mal Sex, Bella wird schwanger, entbindet ein Mädchen und wird kurz vor Schluss von Edward "verwandelt": Durch großflächige Vampirgiftgabe wird sie selbst zum Vampir.
Dass dabei fast komplett auf eine Dramaturgie verzichtet wurde und stattdessen sequenzenlang glatte Bilder vom starrenden Edward und der miesepetrigen Bella zu sehen sind, selten aufgelockert von einem Vampirfreund aus der Muckibude oder dem halbnackten Formwandler Jake, zeigt, wie sehr sich die MacherInnen von "Twilight" inzwischen auf die Marken Pattinson, Kristen Stewart (als Bella) und Taylor Lautner (als Jake) verlassen.
Keusche Teenschwärmereien
Was in Stephenie Meyers Buchvorlage zumindest noch als Spannungsbogen durchgeht - Bellas und Edwards verzweifelte körperliche Annäherungsversuche, die von Edward aus Angst, sich nicht beherrschen zu können, eingestellt werden, oder ihre schwierige Schwangerschaft -, schnurrt im Film auf alberne Tableaus unter Teeniehit-Berieselung zusammen. Allein die Maske hat überzeugend gearbeitet: So anorektisch-krank und eingefallen sieht die Schauspielerin Stewart kurz vor der schwierigen Geburt ihres Vampir-Mensch-Hybriden aus, dass man kaum hingucken kann.
Aber wer braucht schon einen Spannungsbogen, wenn doch ohnehin jedeR weiß, was läuft: Im Gegensatz zur literarischen Vorlage zu "True Blood", der "Sookie Stackhouse"-Buchreihe von Charlaine Harris, waren Stephenie Meyers Romane weltweite Bestseller.
Wie viel die stockkonservative Meyer von Harris, deren Bücher wenige Jahre vorher erschienen, abgeschrieben hat, ist dennoch erstaunlich: Bis ins Detail ähneln sich die Figuren in ihren Anlagen, das Menschenmädchen zwischen Vampir und Formwandler (hier wie da darf man die meist als Wölfe herumstreunenden, mit einer hohen Körpertemperatur ausgestatteten Wesen nicht mit dem gemeinen Werwolf verwechseln), die telepathischen Fähigkeiten - bei Harris der teilweise menschlichen Protagonistin, bei Meyer des Vampirs -, die nur beim Partner nicht funktionieren, und der Versuch der "guten" Blutsauger, ohne Menschenblut auszukommen: Harris' Vampire nennen das "Mainstreaming", Meyers Untote bezeichnen sich als Vegetarier.
Dass in beiden filmischen Adaptionen Briten für die Rollen der Hauptvampire gecastet wurden - Stephen Moyer spielt seine Figur mit einem beeindruckenden Südstaatenakzent - und diese Brits mit den jeweiligen Protagonistinnen Kristen Stewart und Anna Paquin auch im wirklichen Leben ein Paar sind, ist fast gruselig, stellt jedoch die letzte Übereinstimmung dar: Meyers Geschichten sind über weite Teile quälend redundante, keusche Teenschwärmereien, aber lesbar geschrieben. Harris verfasst ihre unglaubwürdige und ebenso verklemmte Fantasy in unangenehmem Groschenromanstil.
Aus dieser Fantasy eine unterhaltsame, vor Ideen, Witz und Spielfreude explodierende, explizite Drogen-, Sex- und Abenteuerserie für Erwachsene zu machen ist das große Verdienst vom Team um den "Six Feet Under"-Erfinder und "American Beauty"-Autor Alan Ball, der die Stockhouse-Geschichten in Seriendrehbücher umwandelte. "True Blood" ist damit ein weiterer in der langen Reihe der gerechtfertigten HBO-Serien-Hits, zeigt aber, dass es nicht das Vampirthema ist, das die ZuschauerInnen einnimmt, sondern die Erzählweise.
Es geht um zutiefst menschliche Dinge
Das Behaupten von supernaturellen Dingen, von der Existenz von Vampiren, Hexen, Gestaltwandlern und Feen, vereinfacht die Aufgabe, eine fesselnde Dramaturgie zu entwickeln, eben weil man sich nicht an natürliche Vorgaben halten muss: Wenn ein Motiv nicht stark genug ist, wird eine Hexe/Eigenschaft herbeigezaubert. Und schon ist alles wieder plausibel. Kein Mensch, der "True Blood", "Twilight", "Vampire Diaries" oder einen der momentan vielfach entstehenden Vampirfilme (wie den in Cannes preisgekrönten "Durst" des Südkoreaners Chan-Wook Park oder "So finster die Nacht" des Schweden Tomas Alfredson) mag, sei er 14 und ein verknallter Teen oder 47 und ein viel beschäftigter Erwachsener, wird plötzlich an die Existenz von Geisterwesen glauben.
Stattdessen geht es stets um zutiefst menschliche Dinge: um Schwärmen und Sehnen ("Twilight"), um Sex, Drogen, Splatter, Minderheitenselbstbewusstsein und den Hintern von Alexander Skarsgard ("True Blood"), um radikales Außenseitertum und erste Liebe ("So finster die Nacht") oder um Moral ("Durst"). Das Kinokassen-Scheitern von Dennis Gansels 2010 entstandenem Berliner Vampirfilm "Wir sind die Nacht", der weder blutig noch sexy noch narrativ interessant genug ist, bestätigt das.
Wer sich jedoch tatsächlich für das Wesen von Vampiren interessiert, wer tatsächlich wahlweise echte Angst verspüren oder mal an einer Tasse 0 Negativ nippen möchte, wird sich eher mit Mark Beneckes unterhaltsam-lehrreichen Psychoanalysen beschäftigen: Im bereits 2009 erschienenen Buch "Vampire unter uns!" hat der Pathologe und Wissenschaftsjournalist gemeinsam mit zwei weiteren Autorinnen seine langjährigen und ernst gemeinten Forschungen zu Vampirismus gesammelt.
Er stellt die "psychischen Vampire" vor, Menschen, die - bewusst oder unbewusst - ihren Mitmenschen statt Blut Energie aussaugen, er thematisiert im langen "Interview mit einer Vampirin" die möglichen Ähnlichkeiten zwischen Gothic-Szene, Vampir-Szene und S/M, diagnostiziert aber auch echte psychische Störungen bei ebenjener Minderheit, die überzeugt davon ist, Sonnenlicht und Knoblauch bekämen ihr nicht. Mit den meist schönen und starken Filmvampiren hat das nichts mehr zu tun. Es verweist "Twilight" stattdessen in seine Schranken: Edward und Bella sind eben doch nur zwei Teenager in love.
"Breaking Dawn: Bis(s) zum Ende der Nacht (Teil1)". Regie: Bill Condon. Mit Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner u.a., USA 2011, 117 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag