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Archiv-Artikel

Letzter Aufruf Schönefeld

Bald herrscht Klarheit, ob Berlin auch bei der Flughafeninfrastruktur die deutsche Teilung überwinden kann

Die Abfertigungshallen sind eng und überfüllt. Wer mit dem Bus in die City will, steht im Stau

AUS BERLIN RICHARD ROTHER

Wer auf dem Flughafen Berlin-Tegel landet, fühlt sich manchmal wie auf einem Provinzbahnhof im Vorweihnachtsverkehr: Die Abfertigungshallen sind eng und überfüllt. Und wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die City will, zwängt sich in einen Bus, der auf dem Zubringer im Stau steht. Der Flughafen, mitten im einst eingemauerten Westberlin gelegen, platzt aus allen Nähten – obwohl allerlei Provisorien errichtet werden.

So soll es nicht bleiben, dachten sich schon vor langer Zeit die Bundesländer Berlin und Brandenburg sowie der Bund. Und einigten sich 1996 darauf, den Flugverkehr der Region auf einen Airport zu konzentrieren: den Berlin Brandenburg International (BBI) am Standort des ehemaligen DDR-Hauptstadtflughafens Schönefeld. Ob der Flughafen am südöstlichen Berliner Stadtrand gebaut werden darf, darüber muss nun – zehn Jahre nach dem Beschluss – das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in letzter Instanz entscheiden. In dem Prozess, dem bislang aufwändigsten des Gerichts, geht es heute mit dem Beginn der öffentlichen Anhörungen in die entscheidende Phase. Ein Urteil wird im ersten Halbjahr dieses Jahres erwartet.

Gegen das aktuell größte Verkehrsprojekt in Deutschland klagen betroffene Anwohner und Gemeinden. Die Flughafengegner fürchten vor allem Lärm und Umweltverschmutzung sowie einen Wertverlust ihrer Immobilien. Überhaupt halten sie den Standort für grundsätzlich falsch. Ein so großer Flughafen dürfe nicht in dicht besiedeltes Gebiet gebaut werden.

Die schwierige Wahl des Standorts, gepaart mit unrealistischen Größen- und Privatisierungsvorstellungen, hat das Projekt immer wieder verzögert. Ganz im Unterschied zum Flughafen Leipzig, der innerhalb weniger Jahre ausgebaut wurde. An der Spree konnte man sich lange nicht auf einen Standort einigen: Die Brandenburger favorisierten einen Berlin-fernen Flughafen, um wirtschaftsschwache Gebiete zu entwickeln; die Berliner wollten einen nahen Flughafen – aus Bequemlichkeit und wegen ökonomischer Interessen. Warum sollen wir Berliner Flughafen-Jobs ins ferne Brandenburg exportieren, wenn die Brandenburger nicht einmal ein Bundesland mit uns werden wollen, mag sich manch Berliner 1996 gedacht haben, als die Länderfusion am Brandenburger Veto scheiterte.

Die Wahl fiel letztlich auf Schönefeld, ein Standort im prosperierenden Speckgürtel der Hauptstadt. Der Flughafen wird den wirtschaftlichen Aufschwung der Gegend voranbringen, sind auch Lokalpolitiker überzeugt. In Berlin herrscht, abgesehen von betroffenen Stadtteilen, weitestgehend grundsätzliche Zustimmung zu dem Projekt; auch bei den Berliner Grünen oder Umweltverbänden hat die Schönefelder Protestbewegung kaum Fuß gefasst. Politisch sticht wohl vor allem ein Argument: Zwar würden künftig in der Schönefelder Umgebung viele Menschen mit zusätzlichem Flugverkehr belastet – entlastet würden aber deutlich mehr Menschen in dicht besiedelten Berliner Bezirken. Wird BBI gebaut, sollen die innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof geschlossen werden.

Bei den Diskussionen über Großflughafen und Größenwahn geriet in der Vergangenheit manchmal der Kern des Projekts aus dem Blick, der sich zum Beispiel vom Ausbau des Frankfurter Flughafens unterscheidet: Der Hauptstadtflughafen ist eine Modernisierung, mit der die Folgen der Teilung Deutschlands überwunden werden soll. Gebaut wird ein leistungsfähiger und erweiterbarer Flughafen, über den jede Großstadtregion Westeuropas verfügt. Seine Kapazität beträgt im Jahr 2011 zunächst 22 Millionen Passagiere pro Jahr. Zum Vergleich: Frankfurt hat derzeit rund 52 Millionen Passagiere, München knapp 29 Millionen und Düsseldorf rund 15 Millionen.

Im vergangenen Jahr fertigten die drei Berliner Flughäfen zusammen rund 17 Millionen Passagiere ab. Einen rasanten Anstieg der Zahlen verzeichnet vor allem Schönefeld aufgrund des Billigfliegerbooms. Derzeit wollen nicht nur viele Berliner preiswert in die Welt jetten, auch immer mehr Touristen fliegen in die Stadt. Davon profitiert nicht nur die wirtschaftsschwache Hauptstadt, in der fast jeder Fünfte arbeitslos ist, sondern auch die Berliner Flughafengesellschaft – deren Gewinne sollen BBI mitfinanzieren. Der Airport will dann auch an dem zukünftigen Verkehr gen Fernost partizipieren: Flieger gen Osten sparen eine Flugstunde im Vergleich zu Frankfurt oder München.

Bevor es so weit ist, haben die Leipziger Richter das Wort. Wie sie entscheiden, steht in den Sternen. Möglich ist eine Genehmigung des Flughafens mit Auflagen – etwa beim Lärm- und Umweltschutz –, aber auch eine Ablehnung. Die Berlin-Brandenburger Politik, die sich einen Wachstumsschub durch den Flughafen erhofft, setzt voll auf Sieg. Einen Plan B gibt es nicht.