Letzte Staffel von „Stranger Things“: Die Nostalgie-Therapie
Die Erfolgsserie „Stranger Things“ zeigt, wie Outsider-Kids den Horror tragen, den Erwachsene produzieren. Warum uns das so magisch anzieht.
Die letzte Staffel ist noch nicht erschienen, aber trotzdem dominiert „Stranger Things“ die Netflix-Charts. Unter den aktuellen Top 10 befinden sich alle vier Staffeln. Klar, bevor am 27. November die letzte Staffel startet, beginnen die Fans ihren Rewatch-Marathon.
Alle wollen zurück nach Hawkins, zurück zum Upside Down und seinen schnodderigen, menschenfressenden Tentakel-Wurzeln, zurück zur Asche, die Unheil verheißend durch diesen Alptraum schwebt und nach Atemmasken sehnen lässt. Warum zieht uns das an?
Als die Serie 2016 erschien, war sie sofort ein Ereignis, laut Netflix sogar erfolgreicher als das damals beliebte „House of Cards“. Die Menschen wandten sich ab vom betrügerischen Egomanen im Weißen Haus, hin zu einem Haufen Kinder. Wie konnte diese Serie das Zugpferd von Netflix werden, obwohl die Zwillingsbrüder Matt und Ross Duffer (Idee und Produktion) vorher niemand kannte? Obwohl so viele der größtenteils recht unbekannten Schauspieler*innen in der ersten Staffel gerade mal Teenager waren?
Bringen Kinder in Serien nicht eher Kinder vor den Bildschirm – und nicht ausgewachsenen Menschen? Nicht, wenn die Schauspieler*innen so hervorragend sind und sich ganz und gar nicht kindlichen Monstern entgegenstellen, die mit den Charakteren wachsen durften.
„Stranger Things“, Staffel 5, ab 27. 11, Netflix
Immer schwerer wurden ihre Prüfungen: neue und zerfließende Freundschaften, schmerzende Liebe, das Verlassen der Kindheit und der – teils stützenden, teils zerdrückenden – Familien, die unglaubliche Anstrengung Jugendlicher, sich gegen Erwartungen zu stemmen und sich einen Platz zu erstreiten, den sie mit ihrem tatsächlichen Ich füllen wollen, das angeblich zu verträumt, zu nerdig, zu dumm, zu schwul, zu weiblich, zu rebellisch ist.
Wie eine Psychotherapiestunde
Stück für Stück werden die Freund*innen härter, weniger naiv, aber immer bleiben sie idealistisch: Noch sind die Protagonist*innen eben nicht erwachsen. Das ist der grundlegende Zauber von „Stranger Things“. Während die Charaktere älter werden, altert auch das Publikum, teilt Entwicklungsaufgaben.
Dass das funktioniert, hat schon „Harry Potter“ bewiesen. Bei „Stranger Things“ gilt das auch für Erwachsene: Über diese Serie nachzudenken, fühlt sich an wie eine Psychotherapiestunde, nur dass das Fachpersonal ersetzt wurde mit anderen Fans des Monsters in der Popkultur.
Was passiert in der Serie? Eine Gruppe von Jungs (ja, es sind die 1980er Jahre und es ist eine Erzählung von zwei Männern) spielt gerne das Spiel „Dungeons & Dragons“, doch plötzlich verschwindet einer der Jungs, Will (Noah Schnapp), auf dem Weg nach Hause. Er ist auf der Flucht vor einem Monster ins „Upside Down“ geraten, einer Parallelwelt, die unserer ähnelt, aber auf eine groteske, verzerrte Weise. Wie der Alptraum, der einen bereits seit der frühen Kindheit begleitet.
Will versucht, sich dort vor dem Monster zu verstecken und seine Freunde versuchen, ihn zu finden, ebenso wie seine alleinerziehende, panische Mutter Joyce (zuerst verängstigt, dann furios: Winona Ryder), der von der Kleinstadtgesellschaft psychische Krankheiten nachgesagt werden.
Ob zu Recht oder weil sie eine Frau ist, die Vollzeit arbeitet, trotzdem in Armut zwei Kinder großzieht und das, weil sie sich davor von ihrem missbräuchlichen Mann getrennt hat, ist unklar. Gleichzeitig taucht ein Mädchen auf, das aus einer Forschungseinrichtung entflohen ist: Eleven (Millie Bobby Brown) oder El, wie die Jungs sie nennen, nachdem sie sie finden und einigem Hin und Her –„Ih ein Mädchen“ – in ihre Gruppe aufnehmen.
Auch Telekinetikerin El kennt die Welt, in der Will sich befindet. Sie war es, die im Labor, unter den Schmerzen von Experimenten und Beziehungsentzug, die Tür dorthin geöffnet hat.
Während es in der ersten Stafel darum geht, Will aus dem Upside Down zu holen, El vor den Schergen der Laborbetreiber zu retten und dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Jugendliche vom Monster gekillt werden, weitet sich der Horror in den folgenden Staffeln aus.
Gruselige Bildgewalt von Stephen King
Die Monster – benannt nach Kreaturen aus „Dungeons & Dragons“ – werden zahlreicher, vielgestaltiger und blutrünstiger. Sie streifen durch Hawkins, und haben immer wieder Jugendliche im Visier, gerne wenn sie Außenseiter sind, weil sie keusch oder queer leben oder besonders viel Sex haben. Die Jugendlichen müssen ins Upside Down, um es zu bekämpfen, wo sie es doch am liebsten verschließen würden. Doch immer, wenn sie kurz davor sind, muss El den Spalt doch größer machen, um ihre Freund*innen zu retten. Es gibt kein Leben ohne Schrecken.
Das Upside Down ist die gewaltgewordene Angst vor dem, was uns festhält, tötet oder geistig und seelisch zerstört. Nicht umsonst wird zuerst ein schwuler Teenager in dieses Reich entführt, der davor bereits von Mitschüler*innen ebenso wie von Erwachsenen angefeindet wird. Die Gesellschaft will ihn schwach darstellen und macht ihn damit zum Opfer der Monster, die nur die Queerfeindlichkeit der Kleinstadt widerspiegeln.
Während El versucht, das Upside Down zu versiegeln, fördern Erwachsene diesen Horror auch noch mit Experimenten, um darin nach einer Waffe für den Kalten Krieg zu suchen. Auf die Regierung kann man sich nicht verlassen.
Die gefährliche Parallelwelt ist eine Trope des 1980er- und 90er-Teenage-Horrors. Doch „Stranger Things“ ist nicht nur geprägt vom Erzählton und der gruseligen Bildgewalt von Stephen King, auch von Steven Spielbergs Sanftmut des fantastischen Abenteurfilms wie in den „Goonies“ und „E.T.“. Herbstwälder, Jungs auf Bonanzarädern, Versteckspiele in Highschool-Gängen.
Diese 80er-Jahre-Party zieht nicht nur die an, die sie erlebt haben. Sie verbindet Generationen. Vielleicht, weil auch die Duffer-Brüder die 80er nur als Kleinkinder erlebt haben. Vielleicht wegen der zirkulären Wiederkehr von Popkultur. Oder weil die Musik der 80er, Walkmans und Spielhallen nie vergessen wurden. Oder wegen der Sehnsucht nach dem Smartphone-freien Leben.
Die Nostalgie ergreift nicht nur die Kinder von damals. Menschen, die in den 80ern jung waren, schauen die Serie seit 10 Jahren gemeinsam mit ihren Kindern. Nostalgie ist nicht nur an Gegenstände, Farben, Klänge gebunden.
Es ist auch die Erinnerung an die eigene Entwicklung, egal in welchem Jahrzehnt. An eine Zeit, in der man sich von der kindlichen Unschuld verabschiedet. In der noch nicht entschieden ist, wie man die Schule beendet und was danach passiert. In der jeder Tag eine Herausforderung ist, die existenzieller und größer ist als die Steuererklärung oder der nächste Urlaub.Egal ob die Herausforderung darin liegt, jemanden um ein Date zu bitten oder einen mordenden Monsterhund zu töten.
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