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Letzte Runde im Kampf um 35-Stunden-Woche

■ Auseinandersetzung steht unter dem Zeichen des §116 und der verstärkten Konkurrenz um Arbeitsplätze

Das Vorgeplänkel ist zu Ende: Ab heute beginnt die Tarifrunde in der Metallindustrie um die endgültige Einführung der 35-Stunden-Woche am Verhandlungstisch. Zunächst heute in Hamburg, dann geht es am nächsten Dienstag in Stuttgart los. Erwartet wird eine der härtesten Tarifrunden der letzten Jahrzehnte. Anders als die Arbeitgeberverbände muß die Gewerkschaft gegen die Stimmung der Zeit ankämpfen: Facharbeitermangel und Solidarität mit der DDR werden von Arbeitgebern ins Feld geführt

Heute ist in Hamburg der Auftakt zur härtesten Tarifauseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik. Die IG Metall will im dritten Anlauf nun endlich die 35-Stunden-Woche durchsetzen, die Arbeitgeber hingegen haben in der Öffentlichkeit schon im Vorfeld eine massive Kampagne gestartet, um die gewerkschaftliche Forderung zu diskreditieren. Es geht der IG Metall um nichts weniger als das Projekt einer humaneren Gesellschaft durch die gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit, das sie bereits Ende der siebziger Jahre in Angriff genommen haben. Der IG -Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler hat schon auf dem Gewerkschaftstag seiner Organisation im Oktober in Berlin betont, daß es zum „Großkonflikt“ kommen könne, wenn es nicht gelingt, die 35-Stunden-Woche auf dem Verhandlungsweg festzuschreiben. Wegen des veränderten Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz, nach dem Beschäftigte in indirekt vom Streik betroffenen Betrieben außerhalb des Streikbezirkes kein Kurzarbeitergeld erhalten können, sind die Gewerkschaften allerdings - anders als 1984 - in ihrer Streikfähigkeit stark eingeschränkt. Sie müssen riskieren, daß ein Heer von indirekt vom Streik betroffenen ArbeitnehmerInnen, auf dessen Ausmaß sie keinen Einfluß haben, im Regen stehenbleiben.

Beide Tarifparteien üben sich inzwischen im Abwiegeln: Man sei ja nicht prinzipiell gegen Verhandlungen über die 35 -Stunden-Woche, nur jetzt sei der falsche Zeitpunkt - der Chef der Metallarbeitgeber Stumpfe will das Thema am liebsten vertagen. Nebenbei lassen die Unternehmer aber keine Gelegenheit aus, gegen die Wochenarbeitszeitverkürzung ins Feld zu ziehen. Wegen dem angeblichen Facharbeitermangel und der gefährdeten Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf den europäischen Binnenmmarkt wollen sie mit Vorliebe wieder zurück zur 40-Stunden-Woche. Neuerdings wird auch der politische Wandel in der DDR als Hilfsargument bemüht: Hilfe für die DDR statt der 35-Stunden-Woche schlägt Dr. Stumpfe vor. Eine Arbeitszeitverkürzung hier sei unsolidarisch gegenüber den Arbeitnehmern drüben, die 43 Stunden arbeiten, müssen sich die Gewerkschafter belehren lassen.

Auf der anderen Seite scheint sich die IG Metall von ihrem gesamtgesellschaftlichen Projekt zurückgezogen zu haben: Eine weitere Arbeitszeitverkürzung, die 30-Stunden-Woche also, steht für lange Zeit nicht mehr auf der Tagesordnung, hat Franz Steinkühler erklärt. Dabei war die Entscheidung über künftige Forderungen nach weiterer Arbeitszeitverkürzung auf dem letzten Gewerkschaftstag der IG Metall ausdrücklich offen gelassen worden, vor allem die Frauen hatten deutlich gemacht, daß nur mit der 30-Stunden -Woche eine gerechtere Arbeitsteilung unter den Geschlechtern möglich sein könnte. Mit der Verabschiedung von solchen gesellschaftlichen Zielen droht die 35-Stunden -Woche zur „Altlast“ im Forderungskatalog zu verkommen, die man anders als mit ihrer Durchsetzung eben nicht mehr los wird, was die Mobilisierung für diese Forderung gewiß nicht erleichtert.

Die IG Metall wird den Arbeitgebern heute zunächst in Hamburg und dann am Dienstag in Stuttgart einen Forderungskatalog übergeben, der schon im Vorfeld für einiges Aufsehen gesorgt hat. Als „absolut überzogen“ wurde er von den Unternehmern gewertet. Neben der 35-Stunden-Woche will die IG Metall eine Lohnerhöhung um 8,5 Prozent mindestens jedoch 200 Mark. Mit diesem Mindestbetrag, der bei den Arbeitgebern auf besonders wenig Gegenliebe stößt, soll die Disparität zwischen den unteren und den oberen Einkommensgruppen verringert werden. Darüber hinaus will die IG Metall das freie Wochenende besser sichern, die Überstunden begrenzen und den Leistungsdruck abbauen, damit die 35-Stunden-Woche auch beschäftigungspolitisch wirksam wird. Begründet wird der erhebliche Umfang des Forderungspakets mit dem anhaltenden Boom in der Wirtschaft und den vollen Auftragsbücher der Unternehmen in der Metallindustrie sowie mit den enormen Gewinnen, die in den letzten Jahren erzielt werden konnten. Hilfreich dabei war sicherlich die dreijährige Verhandlungspause, mit der die IG Metall die Arbeitszeitverkürzungsrunde im Jahr 1987 bezahlt hatte. Die Schere zwischen der Entwicklung der Gewinne und den Arbeitnehmereinkommen ist in den letzten Jahren auch aus diesem Grunde immer größer geworden. Die Nettogewinne in der metallverarbeitenden Industrie sind zwischen 1980 und 1988 um 184 Prozent gestiegen, die Arbeitnehmereinkommen hingegen lediglich um 32 Prozent. Dieses Davonlaufen der Gewinne gegenüber den Löhnen ist einer der entscheidenden Gründe, warum die Gewerkschaften auch innerhalb ihrer Mitgliedschaft und der Belegschaften gegenwärtig noch wenig Rückhalt für einen möglichen Arbeitskampf zur Durchsetzung der Arbeitszeitforderung verspüren. „Die objektiven Rahmenbedingungen wären hervorragend für einen sozialen Kompromiß“, so der Tarifexperte der IG Metall, Klaus Lang, „der sowohl deutliche Einkommensverbesserungen als auch die 35-Stunden-Woche beinhaltet“, und der darüber hinaus auch noch genügend Kapital für die anstehenden Investitionen in der DDR und in anderen osteuropäischen Ländern übrigläßt. Um so unverständlicher ist den Gewerkschaftern die mangelnde Verhandlungsbereitschaft der Unternehmer bei der 35-Stunden -Woche, die ja die zentrale Forderung im Paket ist. Weder die Konkurrenzfähigkeit noch den Facharbeitermangel läßt die IG Metall als Argument gelten. Die Stärkung der Wettbewerbsposition der Metallwirtschaft in der Bundesrepublik zwischen 1985 und heute beweise, daß sich Arbeitszeitverkürzung und Konkurrenzfähigkeit sehr wohl vertragen. Außerdem ist die 35-Stunden-Woche nun auch erklärtes Ziel der Gewerkschaften in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft, so daß die IG Metall im internationalen Raum nicht länger isoliert ist. Auch das Argument mit dem Facharbeitermangel sei nicht überzeugend. Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeit hat aufgedeckt, wieviele junge ausgebildete Fachkräfte als angelernte und ungelernte Arbeiter beschäftigt sind. 25 Prozent der ausgebildeten Facharbeiter sind unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt. Über die Hälfte der Arbeitslosen sind Fachkräfte. Die IG Metall hat also gute Argumente auf ihrer Seite, ihr bleiben aber nur noch drei Monate Zeit, die Köpfe und Herzen ihrer Mitglieder zu gewinnen.

Gabriele Sterkel

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