Letzte Notiz: „Man hat absolut nichts auszustehen“

■ Arte zeigt um 23 Uhr ein Porträt der Sängerin Renate Kern, die sich 1991 das Leben nahm

Am 18. Februar 1991 fand man sie erhängt auf dem Dachboden ihres Hauses in Wildeshausen. Die Rechnung für den Strick lag in ihrer Nähe. Kurz zuvor war Renate Hildebrandt aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden. Die Frau sei nicht mehr suizidgefährdet. Die sich selbst das Leben nahm, war der Öffentlichkeit als Renate Kern bekannt.

Bis Anfang der 70er Jahre war sie eine leidlich erfolgreiche Schlagersängerin, die über eine herbe und starke Stimme verfügte. Sie hatte Hits wie „Du mußt mit den Wimpern klimpern“ oder „Lieber mal weinen im Glück“. Ihren Familiennahmen Poggensee wechselten die Plattenproduzenten gegen den programmatischeren Kern aus: kernig in der Kehle.

Ulrike Franke und Michael Loeken haben sich knapp acht Jahre nach ihrem Tod filmisch auf ihre Spuren gesetzt. Haben versucht zu rekonstruieren, weshalb eine 46jährige nicht mehr leben wollte. Haben frühere Weggefährten zu Wort kommen lassen. Sie sagen allesamt das gleiche: Renate Kern schien nie dort anzukommen, wo sie eigentlich hinwollte.

Behutsam einmontiert werden Eintragungen aus ihren Tagebüchern vorgelesen. Nach der Grundsteinlegung ihres Eigenheims in der niedersächsischen Provinz schrieb sie: „Das Haus ist für mich eine Art Festung, in der ich mich verkriechen kann. Irgendwo war auch alles eine Trotzreaktion, doch zu Leistung fähig zu sein.“ Die Notizen überhaupt machen eine Sängerin erkennbar, die sensibler war als das, was sie an Liedern sang.

Es waren vor allem Schlager des weiblichen Kumpels, der Tröstenden. Gönnerhaft sagt einer, sie sei „die Sängerin der Provinz“. Dieter Thomas Heck berichtet, daß Kerns Wunsch, eine deutsche Piaf zu werden, abgeschmettert wurde, weil man ja schon eine Mireille Mathieu habe und die Kern als optimistische Wimpernklimpernsängerin brauche und sonst gar nicht.

Hoffnungen gescheitert zu sehen, gehört zum Leben. Auch ein Rex Gildo wird schon davon geträumt haben, ein deutscher Dean Martin zu werden. Trotzdem trägt er es mit Fassung, immer nur „Hossa“ singen zu sollen. Was Renate Kern fehlte, war die Ruhe, sich mit sich auszusöhnen. Irgendwie schien sie stets fremden Befehlen zu gehorchen. Hatte Angst vor Auftritten und schien sich nie zu genügen. „Und vor mir die Sterne“, so ein Titel der Kern wie auch die Überschrift dieses berührenden Porträts, war wohl der Satz, der sie verzweifeln ließ: Nichts hatte sie, woran sie sich wirklich freuen konnte.

Woran das lag, lassen die Autoren offen. Hintergründe aus Renate Kerns Kindheit bleiben leider dunkel. Man ahnt nur die Ungeliebtheit des Kindes Renate Poggensee. Kurz vor ihrem Tod tingelt Renate Kern auf einem Fährschiff zwischen Helsinki und Stockholm. Sie notierte: „Die Arbeit ist gut. Erfolg ist auch sehr gut, und man hat absolut nichts auszustehen. Countrymusik mit einer bulgarischen Tanzband ist auch was Neues, aber auch das geht.“ Jan Feddersen