: Lettland: Restriktives Einbürgerungsgesetz
■ Parlament beschließt Gesetz über Staatsangehörigkeit/ Außenminister Jurkans versuchte mit einer Rücktrittsandrohung die Verabschiedung zu verhindern/ Angehörige der sowjetischen Armee dürfen nicht an Wahlen teilnehmen
Berlin (taz) — Zum 15. Oktober ist ein Beschluß des lettischen Parlaments in Kraft getreten, mit dem die Rechte der BürgerInnen der Republik Lettland erneuert, die Folgen der Okkupation und Annexion durch die UdSSR beseitigt und die Grundzüge der Einbürgerung festgelegt werden sollen. Implizit definiert der Beschluß den Kreis jener EinwohnerInnen Lettlands, die berechtigt sein werden, ein zukünftiges Parlament der Baltenrepublik zu bestimmen. Explizit schließt er vor allem die Angehörigen des militärischen Besatzungsapparates aus diesem Kreis aus. Die Präambel des Dokuments stellt fest, daß die Republik Lettland am 17.Juni 1940 zwar okkupiert worden sei, daß eine Gesamtheit der BürgerInnen dieser Republik jedoch weiterbestehe. Ferner wird darauf verwiesen, daß infolge der völkerrechtswidrigen Annexion eine große Anzahl von SowjetbürgerInnen in Lettland ansässig geworden sei, deren Zuzug von der Republik Lettland und der UdSSR niemals vertraglich geregelt worden ist.
Im einzelnen hebt der Beschluß ein Dekret des Obersten Sowjet der UdSSR vom 7.September 1940 auf, mit dem den EinwohnerInnen der baltischen Staaten die sowjetische Staatsangehörigkeit zugesprochen wurde. Bezugspunkt für die weiteren Bestimmungen des Beschlusses sind jene Personen, die der Gesamtheit der BürgerInnen der Republik Lettland angehören und am 17.Juni 1940 die lettische Staatsangehörigkeit besessen haben, sowie deren Nachkommen. Sofern diese Personen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses in Lettland leben, werden sie bis zum 1.Juli 1992 registriert und erhalten einen Paß, der sie als BürgerInnen der Republik Lettland ausweist.
Sofern diese Personen im Ausland leben oder BürgerInnen anderer Staaten sind, können sie sich nach Vorlage eines Expatriierungsbescheids jederzeit registrieren lassen und den Paß erhalten. Eine doppelte Staatsangehörigkeit wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Eine Einbürgerung kommt in Frage für
—Personen, die sich um die Republik Lettland besonders verdient gemacht haben;
—legal nach Lettland eingereiste BürgerInnen anderer Staaten, die am 17.Juni 1940 dort ihren ständigen Wohnsitz hatten, sowie deren Nachkommen, sofern sie in Lettland leben und ihre frühere Staatsangehörigkeit nicht mehr besitzen (davon ausgenommen sind Personen, die im Zusammenhang mit dem lettisch-sowjetischen Beistandspakt vom 5.Oktober 1939 ins Land gekommen sind);
—Personen, die nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit vom 23.August 1919 Anspruch auf die lettische Staatsangehörigkeit haben, sowie deren Nachkommen, sofern sie in Lettland leben, ihre frühere Staatsangehörigkeit aufgeben und über umgangssprachliche Lettischkenntnisse verfügen.
Personen, die den bisher genannten Kategorien nicht angehören und ständig in Lettland leben, können die lettische Staatsangehörigkeit erwerben, sofern sie über umgangssprachliche Lettischkenntnisse verfügen, ihre frühere Staatsangehörigkeit aufgeben beziehungsweise einen Expatriierungsbescheid des betreffenden Landes vorweisen, ordnungsgemäß angemeldet nicht weniger als 16 Jahre in Lettland gelebt haben, die Grundbestimmungen der Verfassung der Republik Lettland kennen und den Eid eines/r Bürgers/Bürgerin dieser Republik geleistet haben.
Von einer Einbürgerung ausgeschlossen sind Personen,
—über die ein Gerichtsentscheid darüber vorliegt, daß sie „mit verfassungswidrigen Mitteln die Unabhängigkeit der Republik Lettland, deren demokratisch-parlamentarische Grundordnung oder die bestehende Staatsmacht“ bekämpft haben;
—die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuerkennung der Staatsangehörigkeit wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens eine Freiheitsstrafe verbüßen oder stafrechtlich verfolgt werden;
—die der Sowjetarmee, den Inneren Truppen und Sicherheitsbehörden der UdSSR angehören, sowie Personen, die sich nach dem 17.Juni 1940 bei ihrer Entlassung aus dem aktiven Dienst in Lettland niedergelassen haben, bei ihrer Einberufung dort jedoch keinen ständigen Wohnsitz hatten. Hierzu ist anzumerken, daß die Präsenz allein der Sowjetarmee in Lettland auf ca. 70.000 Mann geschätzt wird, die Gesamtzahl der Personen, die von dieser Bestimmung betroffen sind, dürfte allerdings um mas Mehrfache höher liegen;
—über die ein Gerichtsentscheid darüber vorliegt, daß sie Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder sich an Massenrepressionen beteiligt haben;
—über die ein Gerichtsentscheid darüber vorliegt, daß sie chauvinistisches, faschistisches, kommunistisches oder anderes totalitäres Gedankengut sowie die Ideologie einer Klassendiktatur verbreiten sowie Völker- und Rassenhaß schüren;
—die nach dem 17.Juni 1940 als Funktionäre der KPdSU und des kommunistischen Jugendverbandes nach Lettland abgestellt worden sind;
—die als Drogenabhängige geführt werden;
—die über kein legales Einkommen verfügen.
Wie aus der lettischen Hauptstadt Riga zu erfahren war, hat das Parlament die Vorentscheidung für diesen Beschluß bereits am 9.Oktober mit einer denkbar knappen Mehrheit von drei Stimmen getroffen. Vor allem in Hinblick auf das zu erwartende internationale Echo soll Außenminister Janis Jurkans versucht haben, mit einer Rücktrittsdrohung die Verabschiedung des Dokuments zumindest auszusetzen — vergeblich.
Der Beschluß des lettischen Parlaments dürfte allerdings nicht nur in Richtung Westen problematisch sein; immerhin sieht das Abkommen zwischen der Republik Lettland und der Russischen Föderation vom 13.Januar 1991 vor, daß die jeweils auf dem Territorium der anderen Vertragspartei lebenden Personen das Recht auf Wahl der Staatsangehörigkeit haben.
Gewiß verbietet sich eine Teilnahme von verbliebenenen Besatzungsstreitkräften an Parlamentswahlen in einem allseits als unabhängig anerkannten Staat aus völkerrechtlichen Gründen. Doch bleibt die Frage offen, ob es eine kluge Politik ist, einem großen Teil der heutigen EinwohnerInnen Lettlands fürs erste die parlamentarische Präsenz zu entziehen, zumal die sowjetische Seite bisher allein die Unabhängigkeit der Baltenrepublik anerkannt, nicht jedoch die vorangegangene Annexion als unrechtmäßig erklärt hat. Auf dem Spiel stehen dabei nicht zuletzt die Erfolge des sogenannten „Baltischen Weges“, der die Wiederbegründung der staatlichen Souveränität mit einer Politik der demokratischen Einbindung von nichtbaltischen Bevölkerungsgruppen zu verknüpfen gewußt hat. rob
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