: Lettische Nationalisten in der Regierung
■ In Riga wird eine Links-rechts-Koalition gebildet, an der auch die "Volksbewegung für Lettland" des Rechtsextremisten Joachim Siegerist beteiligt ist. Wird er Minister in einer Minderheitsregierung
Riga (taz/AFP) – Vier Tage nach den Wahlen in Lettland hat sich gestern eine Rechts-links- Koalition gebildet, der auch die Partei des deutschstämmigen Rechtsextremisten Joachim Siegerist angehört. Die Koalition setzt sich aus den drei Linksparteien „Saimnicks“, „Harmonie für Lettland“ und „Einheitspartei“ sowie Siegerists „Volksbewegung für Lettland“ zusammen.
Die rechtskonservative Partei „Lettlands Weg“ von Ministerpräsident Maris Gailis, die 14,65 Prozent der Wählerstimmen erreichte und noch in den ersten Nachwahlanalysen als möglicher Koalitionspartner gehandelt worden war, wird nicht in der Regierung vertreten sein.
Das neue Vierparteienbündnis hat mit 48 der 100 Sitze im Parlament nicht die absolute Mehrheit. Die Koalition wird jedoch von der ehemals kommunistisch-sozialistischen Partei unterstützt. Ministerpräsident soll der Saimnieks-Vorsitzende und frühere Innenminister Ziedonis Cevers werden.
Siegerist, der wegen unzureichender Sprachkenntnisse selbst nicht für einen Sitz im Parlament kandidiert hatte, könnte nun einen Ministerposten übernehmen. Seine Partei „Volksbewegung für Lettland“ hatte bei den Wahlen überraschend hohe Gewinne erzielt. Sie erhielt etwa fünfzehn Prozent der Wählerstimmen und wurde damit drittstärkste Kraft im Parlament.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse galt eine Beteiligung der „Volksbewegung für Lettland“ noch als fraglich. Fast alle anderen Parteien hatten sich im Wahlkampf von Siegerist distanziert und eine Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt.
Das neue Parlament wird am ersten Dienstag im November zusammentreten. Die Wahlbeteiligung lag mit 71,9 Prozent deutlich unter den 89,9 Prozent der vergangenen Parlamentwahlen von 1993.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat die Wahlen in Lettland kritisiert, weil die russischsprachige Minderheit – rund 700.000 Menschen – nicht stimmberechtigt war. BeobachterInnen deuteten den Wahlausgang als massiven Protest der WählerInnen gegen die Folgen des Übergangs zum kapitalistischen Wirtschaftssystem.
Der Lebensstandard ist gesunken. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, die Kluft zwischen Arm und Reich sei immer größer geworden. Dies wirft die lettische Bevölkerung den Parteien und führenden Politikern vor, die bei den ersten freien Wahlen 1993 an die Regierung kamen.
Außerdem machen die LettInnen die neue politische Klasse für Korruption und Mißwirtschaft verantwortlich. bo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen