Letter from Shanghai: Neues vom chinesischen Vorabendserienschaffen
■ Kino Shanghai: Die heimische Filmindustrie schließt mit dem internationalen Lifestyle kurz – mit Betonung auf konfuzianischen Werten
Seit letztem Herbst befindet sich Shanghai im ununterbrochenen Messe- und Festivaltaumel. Auf Modemesse und Modellwettbewerb folgte Shanghais erste Kunstmesse, in diesen Tagen finden ein Musik- und ein Jazzfestival statt. Alles „international“ selbstverständlich. So drängt man sich, zu den anderen Lifestyle- Metropolen aufzuschließen, vermutlich immer eingedenk der Tatsache, daß das Ereignis Messe und/oder Festival stets dazu geeignet ist, Offenheit und Interesse am Austausch mit dem oder den Fremden zu signalisieren.
Zum Auftakt des dritten internationalen Shanghai-Filmfestivals bewies die chinesische Filmindustrie, daß ihr der Anschluß an die Serienproduktionen westlichen Vorabendschaffens mühelos gelungen ist. Im Eröffnungsfilm „Teenagers“ (außer Wettbewerb; Regisseur: He Qun) agierten vor den Pappkulissen der bekannten mittelständlerischen Häuslichkeit Jungschauspieler, deren typgerechte Besetzung bereits in den ersten Szenen die herandräuenden Probleme erahnen ließ.
Der bebrillte Bücherwurm, der ehrgeizige Dicke, der clevere Szeneknabe, die gar zu Hübsche, die ach so Kluge – und nicht zuletzt der aufopferungsvolle Klassenlehrer, der sein Fahrrad wieder und wieder durch den knöcheltiefen Schnee schob, um die allfälligen Konflikte mit seinem weisen Urteil zu entschärfen. Gemeinsam mit den Eltern bemühte er sich um die Durchsetzung eines Tugendkanons, dessen zentrale Begriffe Fleiß, Gehorsam und Dankbarkeit hießen. Und so sah man die jungen Menschen ständig über ihre Bücher gebeugt, ohne Unterlaß eifrig lernend. Nur manchmal wurden sie aufmüpfig: „Laß mich in Ruhe, ich werde erwachsen.“
Der einzige, der diese Drohung wirklich wahrmachte, war auch das einzige erkennbare Arbeiterkind der Klasse. Als der Knabe den Entschluß faßt, die Schule zu verlassen, um Koch zu werden, triumphiert ein bemerkenswerter Determinismus: Die behüteten Kinder der neuen chinesischen Mittelschicht verfolgen weiterhin den geraden Pfad der Tugend, während der Sohn des arbeitslosen Trinkers einer ungewissen Zukunft entgegengeht. Aber Freunde wollen sie natürlich alle bleiben.
„Teenagers“ erwies sich als handwerklich solide gemachtes Nebenprodukt der Kampagne zur Stärkung der „geistigen Zivilisation“, in dem der Regisseur als Oberlehrer die frohe Botschaft von Tugend und Konformismus verbreitet.
Ein schönes Kontrastprogramm zur tugendsamen Serienwelt bot Zhang Yimous neuer Film „Keep Cool“. Nach den Querelen um die Teilnahme des Films an diversen europäischen Festivals ließ man ihn in Shanghai schlicht aus und zeigte „Keep Cool“ statt dessen im normalen Kinoprogramm. Bei der Wahl des Kinos bietet sich dem Freund historischer Filmtheater speziell das „Cathay“ an der Ecke Maoming und Huaihai Lu an, eines der wenigen erhaltenen Art-déco-Kinos der Stadt.
Seine ehemals imposante Fassade, neonumstrahlt, versinkt heutzutage fast im Hochhausneubauschnickschnack. Von der nahen Flanier- und Einkaufsmeile fanden allerdings nur wenige Zuschauer in den historischen Saal; das Cathay blieb an jenem Sonntag abend jedenfalls fast zur Hälfte leer. Unter anderem saßen dort genau diejenigen Jugendlichen, deren Gegenparts in „Teenagers“ dem Terror permanenter Erziehung ausgesetzt waren, und vergnügten sich an Zhangs Burleske. In „Keep Cool“ werden keine betulichen Blicke auf die neue chinesische Mittelschicht geworfen, statt dessen trudelt die Kamera im ganz gewöhnlichen Durcheinander des Pekinger Alltags umher. Vom endlosen Palaver über den Schadensfall am PC bis zum unnachahmlichen Product placement einer hierzulande gern geleerten Cognac-Marke verfolgt der Film die Rituale einer neuen Konsumgesellschaft und überzeichnet sie bis ins Groteske. Gegen die konventionellen Bilder und die lineare Erzählweise setzt Zhang Yimou Schrägheit, Stakkatobilder und ewig zerdehnte Szenen, gegen die „geistige Zivilisation“ spielt er die Verwirrung seiner Figuren aus, die alles sind, nur nicht „cool“. In Shanghai läuft der Film übrigens mit Untertiteln in Putonghua, dem offiziellen Hochchinesisch, da die Dialoge in breitestem Pekinger Dialekt sonst auch für viele Chinesen zum Teil unverständlich blieben.
Die Jagd von Jiang Wen, der bereits in Zhangs „Rotem Kornfeld“ von 1987 den heiligen Toren verkörperte, nach der Frau seines Herzens wurde mit viel Heiterkeit quittiert, die prätentiös dauerschwankende Kamera stieß dagegen auf Unverständnis. Zunächst irritierte auch die Abwesenheit der Schauspielerin Gong Li, deren majestätische Schönheit derzeit vor allem im Dienst des Hongkonger Edel-Retro-Schneiders Shanghai Tang steht.
Chinesische Bekannte werden ohnehin nicht müde zu versichern, nur Westler fänden Li schön, für Chinesen sehe sie hingegen aus wie eine Bäuerin aus ihrer Heimatprovinz Shandong. Zhang entschied sich gegen die ehemalige Favoritin zugunsten konsequenter Zeitgenossenschaft und huldigt in „Keep Cool“ der neuen chinesischen Idealfrau, prototypisch verkörpert vom ehemaligen Model Ying Qu: sehr dünn, sehr schnippisch, sehr markenbewußt. Draußen auf der Huaihai Lu, in den Kaufhäusern und im Nachtleben wird diese Variante des Girlie täglich erfolgreich vorgeführt.
Warf man Zhangs früheren Filmen häufig vor, sie stellten China als rückständig dar, so verstößt „Keep Cool“ gegen die Auflagen an den Film als pädagogische Anstalt. Den Spaß an der Gegenwart macht man sich bisweilen dennoch lieber privat. Stephanie Tasch
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