Lethargie und Hoffnung : Gefrustet zuversichtlich
Hoffnung darf kein Selbstzweck sein, findet unser Autor. Sie darf nicht zur Beruhigungspille werden, sondern sollte uns zum Handeln motivieren.
taz lab, 05.04.2023 | Von ARON LENNY TEUSCHER
Ich bin auch fertig. Bin ausgebrannt und ernüchtert, müde und frustriert. Was sollte meine Generation auch sonst fühlen? Wir sind Katastrophen und Krisen ja mittlerweile fast schon gewohnt. Die Klimakrise eskaliert rasant und fröhlich weiter vor sich hin. Wir erleben einen brutalen Krieg in Europa, in dem täglich Menschen Gewalt erleben müssen und viele sterben.
Währenddessen macht dasselbe Europa das Ertrinken von Menschen im Mittelmeer zum politischen Kalkül und wählt Faschist:innen in die Herzen seiner Demokratien. Und ich sehe nicht, dass sich auch nur eine dieser Katastrophen in absehbarer Zeit zu lösen scheint.
Aron Lenny Teuscher, Jahrgang 1997, ist Redakteur des taz lab 2023. Er pendelt zur Zeit zwischen Berlin und Leipzig und studiert Geschichte. Foto: Anke Phoebe Peters
Was dieser Zustand mit mir macht? Er macht mich hoffnungslos und lethargisch. Wenn mir da jemand sagt „sei einfach zuversichtlich“ kann ich mich eines Brechreizes tatsächlich schwer erwehren. Doch – und das sage ich im vollen Bewusstsein meines eigenen Empfindens – diese Gefühle sind gefährlich. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass sich nichts, aber auch gar nichts verändert. Lethargie heißt Stillstand, Paralyse. Lethargie heißt die Welle sehen und stehen bleiben.
Das ist Gift für die Demokratie, weil es politische Partizipation verhindert. Was bringt meine Stimme noch, wenn niemand sie hört, sich sowieso nichts verändert? Warum sollte ich auf die Straße gehen, widersprechen oder auch nur wählen, wenn am Ende eh alles so bleibt, wie es ist?
Aber die Hoffnung aufgeben bedeutet, zu ignorieren, dass Entscheidungen von Menschen getroffen werden und von Menschen auch widerrufen werden können. Lethargie – das ist Aufgeben. Und Aufgeben ist der Anfang vom Ende.
Zuversicht darf kein Fetisch sein
Doch Zuversicht darf auch nie nur für sich stehen. Sie darf nie zum Selbstzweck, ja zum Fetisch verkümmern. Es braucht ein neues, affirmatives, aber gleichsam partizipatorisches Verständnis davon, was es bedeutet, zuversichtlich zu sein.
Es heißt nämlich gerade nicht, sich apologetisch und selbstgefällig zu sagen: „Es wird alles gut, wenn wir nur fest daran glauben.“ Solche Phrasen führen zum selben Ergebnis wie Lethargie: zu Stillstand und dazu, dass wir weiter daran arbeiten, nichts zu tun und hinzunehmen, was nicht hinnehmbar ist.
Nein, Zuversicht braucht es nicht als tägliche Beruhigungspille. Es braucht sie, weil es sonst noch schlimmer kommen wird. Wir dürfen uns nicht mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt zufrieden geben. Nicht mit menschlichem Leid, nicht mit Unterdrückung, Klassismus, Rassismus, Antisemitismus oder dem Patriarchat. Nicht mit dem Profitieren weniger und der Ausbeutung vieler, mit dem Reichtum einiger und der Armut anderer, mit der Zerstörung dieses Planeten.
• taz lab Zukunft & Zuversicht – der große taz-Kongress fand am Samstag, 22. April 2023 statt.
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Wenn alle glauben, dass sich nichts verändern kann, dann wird sich auch nichts verändern. Lasst euch von eurem Frust nicht paralysieren – widersprecht, geht auf die Straße, bildet Banden! Denn wir alle sind mitverantwortlich dafür, dass die Welt nicht so kaputt bleibt, wie sie ist.
An dieser Stelle schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über Zukunft und Zuversicht.