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■ NachschlagLesung mit Boris Burkowski in der Schwartzschen Villa

Ein Mann mittleren Alters mit Anzug und Krawatte sitzt in einem Straßencafé. Plötzlich kommen Leute vorbei, die um fahrende Lkws tanzen. Er bekommt Blickkontakt mit einer der tanzenden Frauen und läuft ihr nach. Eine Frau trennt sich von einem arbeitslosen Künstler, weil sie einen Juristen kennengelernt hat. Zum Abschied trifft sie sich noch einmal mit ihm in einem Restaurant. Er bestellt sich einen gemischten Salat, aber sie hat keinen Hunger.

Das sind Geschichten, die das Leben oder vielmehr Boris Burkowski schrieb. Der ist noch nicht alt, trägt aber, ganz Traumschwiegersohn, die Haare akkurat gescheitelt, das Hemd ordentlich gebügelt. Den Frauen im Publikum, die mit ihren winzigen Lackumhängetäschchen wie bildungswütige Steglitzer Deutschlehrerinnen wirken, gefällt das. Sie lauschen beflissen, als suchten sie für ihre Schüler nach neuem Stoff, nach erbaulicher Alltagsprosa mit hohem Identifikationsquotienten.

Boris Burkowski ist Berliner und er ist stolz darauf. In „Mitte. Eine Collage“ beschreibt er vor allem die braven Bürger dieser Stadt, die gern mal sonntags einen Ausflug in den Osten unternehmen, um nicht nur immer in der „Abendschau“ zu sehen, daß hier der Bär tanzt. Sie setzen sich also zwecks Freizeitbewältigung „zu später Stunde“ in ein Café mit „mediterranem Flair“, finden alles sehr schick, kokettieren mit der Jugend und kehren anschließend in den Schoß der Familie zurück.

Als gehe es um die Übererfüllung der Norm sozialistischer Widerspiegelungstheorie, bildet Burkowski dies alles ab. Nur manchmal überwindet er die Angst, irgendwo reinzuspringen. Dann hat ein Herr Meier – Hoho! Gefährlich! – schnellen Sex. Oder er tanzt auf der Love Parade. In diesem Moment fühlt er sich nicht mehr ganz so normal wie ein Herr Meier aus, sagen wir mal, Lüdenscheid. Nur an einer einzigen Stelle geht Burkowski der Gaul durch. Da wird es ihm zuviel mit der Moderne und den Orten der Unsicherheit, und er läßt es regnen auf diese Stadt, bis alles überflutet ist. Nur die Familien haben Glück, die dank unserer ach so fortschrittlichen Stadtpolitik im Eigenheim, draußen im Grünen wohnen dürfen. „In den Außenbezirken holte der Regen lediglich Blüten von Bäumen und Büschen, und die Kinder hatten ihre Freude daran, folgenden Tags durch den rotweißgelbgetupften Teppich zu toben.“ Susanne Messmer

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