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Lernen an der Waldorf-Uni?

Das Studium an Unis mit anthroposophischem Hintergrund setzt auf ganzheitliche Persönlichkeitsbildung und die Begegnung von Kunst und Wissenschaft

Das Bildungssystem ist von einem Geist der Trennung durchzogen

Von Nicolas Flessa

Von Günther Jauch stammt ein Zitat, das gerne gegen die Auslagerung von Wissen in digitale Speichermedien herangezogen wird: „Bildung lässt sich nicht downloaden.“ Dabei steht gerade Jauch wie kaum ein Zweiter für einen populären Bildungsbegriff, den man irgendwo zwischen Formaten wie „Wer wir dMillionär?“ und den zeitgeistigen PISA-Studien verorten könnte. Ein gebildeter Mensch ist demnach in der Lage, einmal gelernte Fakten korrekt abzurufen und sein Bildungsniveau im Umfeld von Wettbewerben medienwirksam unter Beweis zu stellen. Wie uralt die Kritik an einem solchen Bildungsbegriff ist, führen uns nicht zuletzt Bildungsreformer wie Wilhelm von Humboldt (1767–1835) oder Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) vor Augen: Galt es für den einen, „soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln“, so stand für den anderen schon 1794 fest: „Alle Geisteskultur ist nichts, und hilft nichts, ohne Charakterbildung.“

Angesichts so prominenter Fürsprecher einer ganzheitlichen Pädagogik mag es überraschen, dass das deutsche Bildungssystem bis heute von einem Geist der Trennung durchzogen ist. Wie Marco Maurer unlängst in seinem Pamphlet „Du bleibst, was Du bist“ vor Augen führte, ist die soziale Herkunft meist wichtiger für die zukünftige Laufbahn als Fleiß und Talent. Doch auch, wer den Sprung an eine Hochschule geschafft hat, wird dort bald auf den Umstand einer weiteren Spaltung treffen: die des Geistes und der Rationalität vom Rest seiner schwärmerischen Triebe.

Oder, um es mit Rudolf Steiner zu sagen: „Wir müssen aus dem, was wir heute Wissenschaft nennen, indem wir den ganzen Wissenschaftsgeist aufrecht erhalten, ein künstlerisches Anschauen gebären.“ Steiner, tief beeindruckt vom Idealismus Fichte’scher Prägung und zugleich Zeitzeuge der einseitigen Bildungsrealität im wilhelminischen Deutschland, forderte schon 1922 eine neue Einheit von Wissenschaft, Kunst und Religion. Drei Jahre zuvor hatte er sein von anthroposophischen Überzeugungen geleitetes Schulmodell zu einer echten pädagogischen Alternative aufgebaut, die freilich erst viele Jahre später ihre volle Kraft entfalten sollte. Was aber, wenn sich fertige Waldorf-Schüler dazu entscheiden sollten, ebenfalls zu studieren? Sollte dies dann unweigerlich das Ende ihres alternativen Lernideals sein?

Ein wirksamer Gegenentwurf der ersten Stunde ist die Freie Hochschule Stuttgart, die sich bis heute auf dem Gelände der ersten Waldorfschule auf der Stuttgarter Uhlandshöhe befindet. Aufbauend auf Steiners ersten Lehrerbildungskursen, konzentriert sie sich auch fast 100 Jahre später noch exklusiv auf den Bereich Pädagogik. Getreu dem Credo „Erziehen zur Freiheit“ werden hier Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, deren Anspruch es ist, ihren Schülern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern ihnen zeitgleich die Gelegenheit zu bieten, zu voll wirksamen Menschen zu werden. Angesichts einer immer lauter werdenden Debatte zu chronisch überforderten Pädagogen ist die Frage nach den Inhalten ihrer Ausbildung virulent wie selten zuvor. Einrichtungen wie die Freie Hochschule Stuttgart beantworten diese Frage mit einer Methodik, die entsprechend viel Wert auf eine ganzheitliche Ausbildung ihrer Studentinnen und Studenten legt. „Wer später Kinder und Jugendliche dazu befähigen soll, soziale Fähigkeiten ebenso wie die eigene Kreativität zu entwickeln, wird dies schwerlich im Rahmen eines rein akademischen Studiums erlernen“, so Matthias Jeuken, Professor für Eurythmiepädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart.

Dass sich die Waldorf-Methodik nicht notwendigerweise auf das Feld der Waldorf-Pädagogik beschränken muss, davon legt eine weitere anthroposophische Hochschule Zeugnis ab. Die 1973 in Alfter (NRW) gegründete Alanus-Hochschule bietet neben der Ausbildung zum Waldorf-Lehrer auch Studiengänge wie Philosophie, Therapie und sogar Wirtschaft an. Auch hier steht die „Bildung des Menschen zum Menschen“ im Mittelpunkt der Hochschularbeit, deren Namenspatron Alanus ab Insulis (ca. 1120–1202) wohl nicht umsonst den Beinamen „Dr. Universalis“ trug. Die inhaltliche Breite der Lehrinhalte beschränkt sich dabei nicht auf ein bloßes Nebeneinander. Die Begegnung von Kunst und Wissenschaft ist vielmehr für jeden der rund 1.500 Studentinnen und Studenten verbindlich. „Sowohl die Kunstanteile als auch das Studium Generale nehmen einen wichtigen Raum im Studium an der Alanus-Hochschule ein“, so Thomas Schmaus, Professor für philosophische Anthropologie im Institut für philosophische und ästhetische Bildung. „Dass mit dieser Akzentuierung zugleich ein Wettbewerbsvorteil verbunden ist, zeigt die Resonanz der Studierenden.“

Welche Rolle den anthroposophischen Hochschulen in der Zukunft des Studiums zukommt, hängt wohl stark von ihrer eigenen Positionierung im sich international ausdifferenzierenden Bildungswesen ab. Wohl nicht umsonst bieten Einrichtungen wie die Freie Hochschule Stuttgart inzwischen auch Masterstudiengänge auf Englisch und Weiterbildungsangebote in Medienpädagogik und Traumapädagogik an. Ob sich über den allgegenwärtigen Trend zur Interdisziplinarität hinaus auch das Bemühen um eine ganzheitliche Persönlichkeitsbildung im Rahmen des Studiums als attraktiv erweisen wird, hängt wohl nicht zuletzt vom beruflichen Erfolg der auf diese Weise gebildeten Absolventen ab.

Bildung lässt sich bekanntlich nicht downloaden.

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