: Leo Trotzki
■ betr.: "Weltgeist auf stählernem Roß", taz vom 21.8.90
betr.: „Weltgeist auf stählernem Roß“ (“...am verfehltesten die Prognose 'der Sieg über die Nazityrannei, wird eine der größten Explosionen in der Weltgeschichte sein.'“), taz vom 21.8.90
Erwartungsgemäß wird Trotzki von einem aktiv handelnden Revolutionär zu einem Wahrsager der Weltrevolution reduziert. Dies sagt mehr über die Elfenbeintumrphilosophie der taz, als über das Denken Trotzkis aus!
So „vergißt“ der Autor, daß in der Kolonialrevolution, immerhin drei Viertel der Weltbevölkerung durch eine bewaffnete Massenmobilisierung in eben den Jahren nach dem Krieg die Welt erschütterten, und auch die eurozentriertesten Schreiber die Nachwirkungen dieses revolutionären Aufschwungs bis weit in die 68er Jahre kaum leugnen.
Für diejenigen, die in der Tradition von Luxemburg, Trotzki etc. stehen, stellt sich allerdings die Frage: Warum hat in den revolutionären Umwälzungen an allen Ecken der Welt, das Proletariat nirgendwo eine politisch eigenständige Rolle gespielt und diese Umwälzungen daher überall unter Führung bürgerlich nationalistischer Politiker gestanden? Die bloße Idee, Trotzki in einen Wahrsager zu verwandeln, zeigt hier all ihre Absurdität. Wie alle proletarischen Revolutionäre versuchte er vielmehr die subjektiven Vorbedingungen und das unerläßliche historische Instrument zu schaffen, um den Sieg der proletarischen Weltrevolution zu ermöglichen, nämlich eine Weltpartei des revolutionären Proletariats, die IV. Internationale. Nie „sagte“ er eine automatisch siegreiche Revolution „voraus“, sondern versuchte diese vorzubereiten! 50 Jahre später ist es leicht, die Niederlage zu erkennen. Wichtiger wäre es, die Gründe zu analysieren, statt das Vertrauen in die Zukunft und ihre eigene Aktivität mit Wahrsagerei zu verwechseln.
Heinz Hackelberg, Berlin-West
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