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Lenin, verstaubt

■ Afghanistans Uni öffnet wieder

Kabul (AFP) – Eine Staubschicht verschleiert den stechenden revolutionären Blick im Lenin-Konterfei, das die roten Buchdeckel seiner Werke in den Regalen der Universitätsbibliothek Kabul schmückt. Universitätsangehörige rechnen nicht damit, daß sich diese Bücher in naher Zukunft besonderer Beliebtheit erfreuen werden, wenn am 23. August die Universität Kabul ihren Lehrbetrieb nach 17monatiger Pause wieder aufnimmt. „Wir haben mehr als 150.000 rote Bücher“, erklärt der Dekan der Universität, Amir Hasanjar.

Die Außenmauern des Bibliotheksgebäudes sind mit Raketeneinschüssen übersät, ohne daß der Buchbestand davon in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Als einziges Universitätsgebäude ist die Bibliothek auch von Raubzügen verschiedener Mudschaheddin-Gruppen verschont geblieben. „Die Bücher sind offenbar eine gänzlich uninteressante Beute“, bemerkt ein Besucher.

Die Universität Kabul, 1933 von König Nadir Schah gegründet, beherbergte zunächst nur eine Fakultät, nämlich die medizinische. Nach und nach wurde sie auf 13 Fakultäten erweitert, an denen bis zu 10.000 Studenten studieren konnten. 60 Prozent davon waren Frauen. Hasanjar setzt sich heute hartnäckig für ihr Recht auf eine Hochschulausbildung ein – gegen Kampfansagen aus den Reihen der moslemischen Geistlichen. Zunächst sollen 3.000 Studenten aufgenommen werden.

Der Universitätskampus liegt an der Frontlinie eines noch immer von beiden Kriegsparteien umkämpften Ödlandes. So wird das 500 Hektar große Gelände von den Schiiten als militärischer Stützpunkt genutzt, ausgestattet mit einer Waffendeponie und Raketenabschußrampen. Die Schiiten haben sich nun aus den Hörsälen und Fakultätsgebäuden zurückgezogen; „sie halten jedoch immer noch Stellung in den Schützengräben auf dem Campus“, sagt der Dekan. Auch Wasser- und Stromversorgung gehören zu den noch ungelösten Gesprächen. Aber gegen alle Widrigkeiten wird der Lehrbetrieb wieder aufgenommen – selbst wenn der Unterricht draußen unter den Bäumen abgehalten werden muß.

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