■ Mit den Riesenverlusten auf Du und Du: Lender of last resort
Als Folge des Aktienkrachs sind laut Spiegel auf der ganzen Welt eine Billion Dollar - allerdings nicht, wie der Spiegel meint, Papierverluste, sondern reale Vermögensverluste - entstanden. Ob jemand 100 Aktien zu zehn oder ein anderer 100 Aktien zu 100 erworben hat, beide haben bei einem Aktienkurs von 100 ein Vermögen von 10.000. Bei einem Kursrutsch auf 50 hat der erste Aktionär noch 4.000 Kursgewinn gegenüber seinem Einstiegspreis, der zweite bereits 5.000 Kursverlust, aber beide sind um 5.000 ärmer. Wenn Vermögen weltweit in derartigen Größenordnungen schrumpfen, hat dies negative Folgen für alle. Wenn zweitens Politiker in dieser Situation zu lange mit vertrauensbildenden Maßnahmen zögern, bleibt als einziger Hoffnungsanker der „lender of last resort“, eine Instanz, die durch Geldzuwendungen Rettungsaktionen einleitet. Der Ausdruck kommt aus dem französischen „dernier ressort“ und bedeutet die höchste Gerichtsstufe, über die hinaus keine weitere Berufung möglich ist. Der Begriff ist mittlerweile völlig anglisiert und hebt bei den Zentralbanken (oder auch Notenbanken, in der Bundesrepublik die Bundesbank) auf die Verantworung des „Geld zur Verfügung Stellenden“ ab. Damit sind zwei Fragen angesprochen. Erstens: „Wem gegen Was?“ und zweitens: „Wann und Wieviel?“. Bei der ersten Frage ist das „Wem“ normalerweise in den Notenbankgesetzen geregelt, wird aber bereits in den USA heftig in die Richtung diskutiert, ob auch Nicht–Finanzunternehmen im Notfall aufgefangen werden dürfen. Die Frage „gegen Was“ wird dahingehend beantwortet, daß „gesunde Sicherheiten“ vorgelegt werden müssen. Wenn sich aber die Panik von den Aktien über die Devisen auf die reale Wirtschaft ausdehnt, dann können gesunde Sicherheiten von heute schon morgen kranke oder unzureichende Sicherheiten sein. Das führt sofort zur Frage „Wann und Wieviel“, die bedauerlicherweise nur mit Instinkt und Fingerspitzengefühl beantwortet werden kann. Das heißt, zu früh und zu viel könnte eine Inflationswoge auslösen, zu wenig und zu spät könnte Riesenschäden verursachen. Bislang haben die Zentralbanken gezeigt, daß sie mit guten Instinkten und präzisem Fingerspitzengefühl operieren, obwohl in Amerika ein neuer und international unerfahrener Mann am Ruder sitzt. Heinz L. Poulev Heinz L. Poulev, Chef der Depot–Management–Beratung in Frankfurt, beleuchtet für die taz die Börsenszene der Turbulenzzeit.
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