Leiterin über Bremer Literaturfestival: „Perspektiven über den deutschen Sprachraum hinaus“
Das Literaturfestival „Globale“ will bewusst Grenzen überschreiten. Ko-Leiterin Tatjana Vogel über das Verlassen von Nischen.
taz: Tatjana Vogel, was ist das Globale an Ihrem Festival?
Tatjana Vogel: Die „Globale – Festival für grenzüberschreitende Literatur“ hat sich Autor: innen verschrieben, die hauptsächlich in Deutsch schreiben, aber sich auch darüber hinaus in verschiedenen Sprachen und Kulturen bewegen und das in ihrem Schreiben verbinden. Autor:innen, die Perspektiven haben, die über den deutschen Sprachraum hinausgehen. Vor 18 Jahren, als das Festival entstanden ist, war das noch Nischenliteratur, Stimmen, die kaum Gehör bekommen haben. Dass das jetzt, wo der Diskurs sich geändert hat, so weiterbesteht, finde ich sehr schön.
taz: Was macht grenzüberschreitende Literatur aus?
Vogel: Das kann ganz viel sein. Es gibt natürlich die Kernidee, aber auch ganz viele andere Arten, wie Literatur grenzüberschreitend sein kann: Seien es die Grenzen des Körpers oder der Identität. Sei es, dass Autor: innen formale Grenzen überschreiten oder die von Genres. Der Kern bleibt aber: Literatur, auf Deutsch geschrieben – aber beruhend auf Mehrsprachigkeit.
taz: Das Motto in diesem Jahr lautet „… trotz dieser Welt …“. Wie ist das gemeint?
Vogel: Das beruht auf eine Gedichtzeile von Fontane, die Libuše Černá, die Festivalgründerin, mitgebracht hat. Wir haben uns schon im vergangenen Jahr gefragt: Was machen wir hier eigentlich? Wieso und wofür machen wir das? Was soll es erreichen? Also große Sinnfragen, die man sich so stellt, und das fängt das Motto ganz gut ein. Trotz dieser Welt also wollen wir Räume öffnen, Gehör verschaffen und Perspektiven erweitern. Es besagt auch: Wie lassen uns nicht einschüchtern von den vermeintlich aussichtslosen Kämpfen, die in allen Ecken geführt werden.
taz: Wie wird entschieden, welche Autor: innen eingeladen werden?
kam 2017 durch ein Praktikum zur Globale – dieses Jahr übernimmt sie, zusammen mit Daniel Schmidt, die Leitung des Festivals.
Vogel: Das ist relativ vielschichtig. Wir wollen natürlich auch einen gewissen Bogen, sodass verschiedene Stimmen und Perspektiven vertreten sind. Im Team bringen auch alle ihre unterschiedlichen Ideen und Geschmäcker mit und schlagen Autor:innen vor. Daraus basteln wir dann ein rundes Programm. Für den Anfang und den Abschluss sind es immer eher bekanntere Autor:innen, und wir schauen, dass das Programm zu den Orten passt. In der Arbeitnehmerkammer etwa sind es dann oft Texte mit Bezug zu Geld oder Arbeit. So setzt sich das Programm zusammen aus ganz verschiedenen Ideen, Geschmäckern und Themen. Was erscheint, ist natürlich auch wichtig, üblicherweise werden Autor: innen eingeladen, die im Jahr vor der Globale ein neues Buch haben.
taz: Das Programm ist sehr osteuropäisch geprägt.
Vogel: Einmal gab es einfach extrem viele spannende Texte aus dem osteuropäischen Sprachraum. Natürlich gibt es auch diesen aktuellen Bezug, es ist einfach sinnvoll, sich mit Russland und der Ukraine auseinanderzusetzen. Es ist aber auch immer wieder ein Schwerpunkt der Globale, der sich ein bisschen nebenbei ergibt – weil es viele von uns interessiert.
taz: Das Festival wird dieses Jahr volljährig, ist es denn auch selbständig?
Vogel: Ja, auf jeden Fall. In den vergangenen Jahren hat sich da so viel getan. Ich nehme das total wahr auch bei Menschen in der Stadt, die das auf dem Schirm haben – und im Kalender. Die fragen dann auch schon lange vorher, wo die Programme sind und wann es endlich losgeht. Die Leute warten richtig, und das ist mega-schön zu sehen. Unser Publikum wird auch immer diverser vom Alter und der Zielgruppe her, das ist uns auch sehr wichtig.
taz: War das früher anders?
Vogel: Es hat sich lange so ein bisschen wie unterm Radar angefühlt, ein bisschen exklusiv für Menschen, die genau das Thema interessiert – was auch sehr schön ist. Aber es kommen jetzt viel mehr Leute mit unterschiedlichen Hintergründen. Es ist auch so, dass sie jetzt mehr auf das Programm vertrauen und auch zu Autor:innen gehen die sie vielleicht noch nicht kennen. Viele Veranstaltungen sind kostenlos, wir wollen alles möglichst barrierearm halten – sodass alle Leute kommen können, die wollen.
taz: Was hat sich seit dem ersten Festival verändert?
Vogel: Also, beim ersten Mal war ich noch ein Kind … Libuše Černá hat aber erzählt, ihre schönste Festivalerinnerung sei: Als sie angefangen haben, war das noch Nischenliteratur für einen ganz kleinen Kreis an Menschen. Dann hat es angefangen, dass „Globale“-Autor:innen Preise gewonnen und es in den Mainstream geschafft haben. Das hat sie richtig stolz und froh gemacht. Da hat der Diskurs sich total verändert – aber der Globale war schon vor 18 Jahren klar, dass das wichtige und tolle Texte sind.
Die „Globale – Festival für grenzüberschreitende Literatur“ findet seit 2007 jedes Jahr in Bremen statt.
Dieses Jahr beginnt es am 28. Oktober und endet am 3. November. Es wird über 20 Veranstaltungen mit mehr als 40 Autor:innen geben.
Eröffnet wird es von Uwe Wittstock im Gespräch mit Ronya Othman. Gleichzeitig läuft auch die „junge Globale“ mit Lesungen und Schreibwerkstätten für Schüler:innen und Student:innen
Das ganze Programm und weitere Informationen unter: www.globale-literaturfestival.de
taz: Freuen Sie sich auf einen Termin besonders?
Vogel: Auf alles! Ich freue mich total auf Barbi Marković, die hat „Minihorror“ geschrieben, das den Horror des Mittelstandalltags beschreibt: Das ist richtig witzig, aber auch total politisch. Ich freue mich auf Eva Illouz. Und Lisa Weeda in der Shakespeare Company mit ihrem Roman „Tanz, tanz, Revolution“: Das wird hoffentlich ein multimediales Format – darauf freue ich mich sehr.
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