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„Leitantrag gefährdet Glaubwürdigkeit der SPD“

■ Parteitag: Kritik der SPD-Wirtschaftsexperten und Zoff um Sozialhilfekürzung

Allgemeinplätze, Widersprüche, Unklarheiten und Gestriges: Die sozialdemokratischen Wirtschaftsexperten des „Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzen“ ließen kein gutes Haar an dem SPD-Leitantrag zur Zukunft der Arbeit, der auf dem Parteitag am Wochenende verabschiedet werden soll.

In einem Sitzungsprotokoll, das der ehemalige Hamburger Wirtschaftssenator und jetzige Präsident der Norddeutschen Landeszentralbank Hans-Jürgen Krupp verfaßt hat, heißt es: Der Leitantrag „geht auf die aktuelle wirtschaftpolitische Diskussion nicht ein“, sondern hält „im wesentlichen an Altbekanntem“ fest. „Die Frage, welche Anworten die SPD auf die Herausforderungen der Gegenwart“ gibt, bliebe offen.

Insbesondere die Forderungen nach mehr Wohn-, Kinder-, Erziehungsgeld und anderen staatlichen Leistungen seien unseriös und gefährdeten „die Glaubwürdigkeit der SPD“. Man könne nicht konkrete zusätzliche Leistungen verlangen, ohne zu sagen, wie sie finanziert werden sollen.

Außerdem, so die SPD-Wirtschaftsexperten, stünden einige Aussagen des Leitantrages im „klaren Gegensatz zum praktischen Handeln des Senats“; zum Beispiel, daß Bildung und staatliche Arbeitszeitverkürzung Vorrang haben müßten. Viele Gewerkschaften, so rügt das Protokoll, seien außerdem erheblich weiter als der SPD-Leitantrag und hätten mit arbeitsplatzsichernden Tarifverträgen die Krise „schon heute sehr viel kompetenter geregelt“. Das IG Metall-Modell, das Arbeitsteilzeit für ältere Arbeitnehmer vorsieht, sei „sehr viel vernünftiger“ als der Leitantrag mit seinen Vorschlägen zum Vorruhestand.

Derweil brütete der SPD-Landesvorstand am Montag abend fünf Stunden lang über den von allen Seiten attackierten Leitantrag zur Zukunft von Arbeit und Sozialstaat. Als Jutta Blankau (SPD Nord) den Antrag aus dem Kreis Mitte – Sozialhilfekürzung bei Ablehnung einer „zumutbaren Arbeit“ – mit dem „Reichsarbeitsdienst“ verglich, entbrannte eine hitzige Flügel-Diskussion. Bürgermeister Henning Voscherau wollte die 25prozentige Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt (531 Mark) nicht als Schikane, sondern als ein Recht auf Arbeit verstanden wissen. SPD-Landeschef Jörg Kuhbier fand, es würde reichen, lediglich den Gesetzestext aufzunehmen. Denn im Juli haben Bundestag und Bundesrat ohnehin die Sozialhilfekürzung bei Ablehnung einer „zumutbaren“ Arbeit beschlossen. Die SPD-Rechten bestanden jedoch auf einer ausdrücklichen Aufforderung an den Senat, das Bundessozialhilfegesetz umzusetzen. Den Ausschlag im links-dominierten Landesvorstand gaben der linke SPD-Kreisvorsitzende aus Altona, Olaf Scholz & friends: Dank ihrer Unterstützung wurde das Begehren aus Mitte in den Leitantrag aufgenommen. Scholz selbst schnipselte die Ergänzungen zusammen.

Die Behörde für Arbeit, Soziales und Gesundheit (BAGS) wollte zum SPD-Leitantrag „konkret“ nichts sagen. Faktum sei jedoch – und daran könne auch das reformierte Bundessozialhilfegesetz nichts ändern –, „daß es keine Arbeitsplätze gibt“, so Sprecherin Petra Bäuerle. Längst sei es Praxis, daß SozialhilfeempfängerInnen ihr Bemühen um Arbeit nachweisen müssen. Ohne eine Bescheinigung des Arbeitsamtes, nicht vermittelbar zu sein, kann ein Antrag auf Sozialhilfe gar nicht gestellt werden. Mit Sozialhilfekürzung zu drohen und damit Arbeitsunwilligkeit zu unterstellen, sei nicht mehr als „Symbolpolitik“.

Silke Mertins

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