Leistungsverweigerung bei der Gen Z : No work!
Immer, wenn es um die Generation unserer Kolumnistin Ruth geht, heißt es: Die wollen alle nicht mehr richtig arbeiten. Sind die alle faul oder nur intelligent?
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 20.07.23 | „Die junge Generation hält auch gar nichts mehr aus, wa?“
Es ist zwei Uhr morgens und die Kellnerin, Ende vierzig, blondiertes Haar, stellt mir ein weiteres Schultheiss hin, nachdem sie ihren eigenen Wodka gekippt hat. Es schmeckt widerlich, aber ich fand die komische Kreuzberger Rockerkneipe deutlich einladender als die zwanzig gentrifizierten Bars, an denen ich davor vorbeigelaufen war. Drei Menschen sitzen am Tresen, einer spielt am Automaten. Ein Typ legt echte Platten auf. Ich frage die Kellnerin, wie lang sie denn heute noch muss.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
„Fünf Uhr ist Schicht im Schacht. Sechse bin ich hier raus …“.
Ich versuche, verständnisvoll zu nicken.
Sie fängt an, von ihrem Sohn zu erzählen, Anfang zwanzig und nach allem, was sie schildert, das Klischee eines Gen Z'lers, also meiner Generation.
„Dann sagt der mir, der braucht 'ne Auszeit, dabei hat er noch nicht mal die Lehre fertig. Der Deal war: die Lehre beenden und raus. Auszeit … Wovon denn bitte?“
„Na ja, vielleicht fühlt er sich … nicht wohl damit ...“, versuche ich anzusetzen.
„Alle haben sie Depressionen … ja, tut mir leid, das Leben wird nicht einfacher.“
Sie stellt mir einen doppelten Wodka hin, ohne, dass ich einen bestellt hätte. Ich exe. Wenn das so ist, dass das alles nicht einfacher wird ...
Wie bringt man uns nur zum Arbeiten?
Faul, bequem, weichgekocht. Ist das so? Experten, Arbeitgeber, Journalisten – und jetzt auch noch Kellnerinnen mit Kindern – scheinen sich jedenfalls seit einiger Zeit die Köpfe zu zerbrechen, wie man diese Leute nur zum Arbeiten bringen soll, damit das System nicht einbricht. Ein System, das sich scheinbar noch wackelig auf die hart arbeitenden, aber langsam unter ihrem Fleiß zusammenbrechenden älteren Generationen stützt.
Während wir GenZ'ler nur noch an Teilzeit, flexible Arbeitszeiten und – oh Gott – Auszeiten denken. Und im Bewerbungsgespräch schon Work-Life-Balance verlangen. Meine Generation stelle nur Bedingungen, hieß es vor kurzem im Spiegel: Viertagewoche, Sabbatical, Homeoffice. Aber ist das denn schlimm? Geht es denn nicht, zum Beispiel, um erfülltes Arbeiten? Effizienz? So arbeiten, dass man psychisch gesund bleibt? Kommt Beruf nicht von Berufung?
Nein! „Im Niedergang“, so hieß die Grafik zum Spiegel-Artikel: 1880, da haben die Deutschen anscheinend noch über 60 Stunden in der Woche gearbeitet. Selbst 1956, als man zur Fünftagewoche überging, waren es über 45 Stunden durchschnittlich die Woche. Und heute: im Schnitt 38!
Oder wie mein Vater mal, als ich noch ein Teenie war, zu mir gemeint hatte: „Ruth, du bist echt intelligent, aber sehr faul.“ Dann war er – nachdem er unbewusst die Arbeitsethik meiner Generation Jahre bevor es zum Thema wurde, analysiert hatte – wieder in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Um zu arbeiten. Das Haus abbezahlen. Ein Haus, wie ich es mir in meinem Leben wohl niemals werde leisten können. Und wollen.
Es heißt jetzt Life-Work-Balance
„Wir machen uns nicht mehr kaputt!“ stand auf der Titelseite des Spiegel, den ich gelesen hatte. Drei junge Menschen mit vor der Brust verschränkten Armen und fordernden Gesichtsausdrücken. Intelligent, aber faul? Oder faul, aber intelligent? Oder noch schlimmer: privilegiert, weil sie Anforderungen stellen können? Wirklich?
Work-Life-Balance ist schon wichtig. Ich schaue auf meine Uhr, sieht aus wie drei Uhr morgens, und morgen muss ich arbeiten. Also heute. Life-Work-Balance heißt das doch jetzt, denke ich. Und daran, dass ich Arbeit und Leben schon ganz gut hinkriege, wäre da nicht noch das Schlafbedürfnis. Ich bestelle mir noch ein Schultheiss.
Vorhin hatte ich mit meiner Freundin Mia telefoniert, die wieder angefangen hat zu studieren. „Geht mir ganz gut, nur jeden Tag Reis mit Tiefkühlgemüse geht mir auf den Sack. Aber für mehr reichts grad nicht“, hatte sie gesagt. „Ich arbeite ab nächsten Monat wieder 20 Stunden die Woche. Dann passt das schon mit Miete und Essen. Aber dich in Berlin besuchen, muss ich wohl verschieben.“ Dann hatten wir uns verabschiedet, weil ich noch etwas schreiben musste und sie lernen und die Sonne schon untergegangen war.
„Wir sind nicht alle diese optimierten Leute, die in den gentrifizierten Lokalen hocken, Selfies machen und für Start-Ups arbeiten“, höre ich mich laut sagen. Aber niemand reagiert so richtig. Der Spielautomat gibt Jingles von sich und schluckt weiter Geld. Der Handwerker in Engelbert-Strauss-Uniform neben mir schaut nur müde rüber. Er trägt diese Uniform bestimmt schon seit Jahrzehnten und hat sich nie beschwert. Hätte er eine Teilzeitstelle verlangt, hätte ein anderer seinen Job übernommen.
Das Leben wird nicht einfacher, hallt es in mir nach.
Teure Mieten, keine Rente, kein Ansporn
„Sind wir nicht die Generation, die viel mehr bezahlen muss, um überhaupt über die Runden zu kommen? Die die Hälfte ihre Geldes für Mieten ausgibt? Keine Sicherheit mehr hat? Sowieso nicht mit Rente rechnen kann? Überhaupt: Welchen Ansporn sollten wir überhaupt noch haben, um zu arbeiten?“ – das alles will ich der Frau hinter der Theke noch hinterher rufen. Aber die ist wieder am Bier ausschenken. Bis fünf Uhr morgens.
„Und jetzt kommt ein geiler Song.“ Der Typ bei den Platten – schwarzes T-Shirt, bestimmt bald sechzig, faseriger Pferdeschwanz – dreht sich zu mir. „Ganz genau zuhören.“ Er legt das Vinyl auf. „Das Lied heißt: No work. Ganz wichtig!“ Er schaut mich geheimnistuerisch an, während die verzerrte Gitarre erklingt.
Keine Ahnung, was der sonst so macht oder gemacht hat in seinem Leben, denke ich mir, während er mir immer wieder „no work“ ins Gesicht brüllt und den Spaß seines Lebens hat. Aber im Moment sieht es aus wie Work und Life zugleich. Vielleicht geht es gerade darum – egal ob Gen Z'ler oder nicht – zu sein und zu fühlen wie er. Der am frühen Morgen in einer halb-leeren, verranzten Kneipe auflegt, voll abgeht und schreit: No work!
Ob er dafür mehr als nur Freigetränke bekommt, weiß ich nicht. Aber im hier und jetzt scheint es zum Leben zu reichen und glücklich wirkt er auch noch.
Darum geht's doch, oder?
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.